Meerkat & Periscope: Der Bürger als Kameramann

Peter Mußler 10. June 2015 0 Kommentar(e)

Wer kennt es nicht? Ob Geiselnahme oder Kriegsberichterstattung: Gehetzte Reporter kommentieren unter Stress vor laufenden Fernsehkameras, was sie gerade sehen. Allein, sie kommen oft zu spät. Just in time geht nur per Zufall und mit vielen Augen.

Foto: shutterstock 212997622

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Angefangen hat es mit Meerkat und der Idee, Twitter-Usern ein Live-Video-Tool an die Hand zu geben. Also nicht mehr nur Mikroposts, sondern auch Bewegtbild, anders als bei Instagram, sogar unbegrenzt in ihrer Länge. Das Twitter-Konto war Bedingung, die Follower konnten dann zuschauen. Kaum auf dem Markt und in Fachkreisen bekannt, hat Twitter Benachrichtigungen für Follower gesperrt und sich mit Periscope eine ähnliche App eingekauft. Dieser eigene Realtime-Videodienst wurde in die App-Welt geboren und kann nach Meinung einiger Medienspezialisten die Welt revolutionieren.

„Life on Air“: Übertragung des Lebens

User geben vor Aufnahme per Kurzbeschreibung ein, was sie sehen, dann geht es auch schon los. Ob nun die Innenseite der Toilettentür, die Rolling Stones beim Stadiongig oder aber der Feuerwehreinsatz wegen des brennenden Nachbarhauses. Alles birgt das Potenzial, gesehen zu werden. Zum Glück wird nicht alles gesehen. Wie genau Periscope die Relevanz der Inhalte ermittelt, ist nicht klar, auf jeden Fall spielt der Drehort eine gehörige Rolle. News aus Chicago scheinen per se interessanter zu sein als welche aus dem Bayrischen Wald.
Nähert man sich der App vorsichtig aus Konsumenten-Seite fragt sich dennoch, wie Wichtigkeit definiert wird. Das Top-Video beim ersten Test zeigt den Blick in eine italienische Einkaufsmall. Da kein Clip überdauert, wechselt das Angebot ständig: Relativ viele Zuschauer (das wird stets angezeigt) haben zwei junge arabische Frauen, die mit Herzen (das Like-Äquivalent bei diesem Social Medium) und eindeutigen Kommentaren überschüttet werden. Das wird aber auch schnell langweilig. Welchen Nutzen hat also dieses Tool? Geht es wirklich nur um reinsten Voyeurismus? Den Einblick in das (Privat-)Leben Fremder zwischen Zähneputzen und dem Verlassen der Wohnung? Oder, mehr als das, um das Gefühl dabei zu sein? Sei es bei einem Junggesellenabschluss oder einer einsam performten Pop-Ballade in der Ein-Zimmer-Wohnung.

„Wenn etwas Interessantes dort passiert, wo es nicht erwartet wird, sind die Chancen gering, dass gerade ein Journalist mit Profikamera parat steht. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Laie in der Nähe ist, liegt aber bei knapp 100 Prozent.“ – Dan Gillmor (Professor für Journalismus an der Arizona State University)

 

Keine zweite Chance: jetzt oder nie

Neben dieser Webcam-Funktionalität zwischen übertünchter Einsamkeit und offener Schaulust prophezeien manche Medientheoretiker den völligen Untergang des professionellen Journalismus durch diese Art von App. Wo früher Fernsehstationen das Ãœbertragungsmonopol innehatten, ist im Zuge der demokratisierten Kommunikationstechniken eine Situation eingetreten, die man mit „Das Recht des Schnelleren“ überschreiben könnte. Kein Reporter der Welt ist eher an Ort und Stelle, als ein Passant, der dank des Zufalls einfach schon inmitten des Geschehens steht. Er braucht dann nur noch die App aktivieren und schon können wir uns am anderen Ende der Welt ein Bild beispielsweise von einer Gasexplosion in einer Metropole machen – wie geschehen Ende März in New York, kurz nach dem Launch von Periscope. Man stelle sich vor, diese Technologie hätte es schon vor 15 Jahren gegeben. Wie hätten wir 9/11 erlebt? Trotzdem nicht hautnah, aber in brutaler ungeschnittener Echtzeit. Jeder Fernsehbericht hätte nur noch den faden Beigeschmack einer Konserve gehabt.
Wir sind gespannt, wie sich Periscope entwickeln wird und wie lange Meerkat noch existiert. Da es dort keine Ankündigungen gibt und auch keine Replay-Funktion, kommt man als Voyeur oft zu spät. Trotz Echtzeit.

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