Ein Gefühl des neuen Fahrens – Audi AI:ME

Der Audi AI:ME zeigt, wie automatisiert fahrende Kompaktautos ­aussehen können, die morgen (oder eher übermorgen) auf den Straßen unserer Großstädte unterwegs sein sollen. Dabei wartet das Fahrzeug mit einigen Überraschungen auf.

Mit dem AI:ME hat Audi auf der Messe Auto Shanghai 2019 als Designstudie ein Elektrofahrzeug vorgestellt, das kein Allzweckauto sein soll, sondern einen enger definierten Einsatzbereich hat: die Verwendung als Stadtfahrzeug. Laut dem Hersteller ist das Auto für die Nutzung in den „Megacities von morgen“ bestimmt. Vermutlich aber wird das Fahrzeug auch in Städten Verwendung finden, die weniger als 10 Millionen Einwohner haben …

Leicht statt schnell

Getreu seinem Einsatzzweck versucht der Audi AI:ME gar nicht erst, mit Eigenschaften wie Höchstgeschwindigkeit, extreme Beschleunigung oder langstreckentaugliche Reichweite aufzutrumpfen. Stattdessen hat der Hersteller ein Auto entwickelt, das dafür gedacht ist, sich meist im Geschwindigkeitsbereich zwischen 20 und 70 km/h aufzuhalten, und dessen Akku für innerstädtische Fahrten lange genug durchhält. Daher beträgt die Speicherkapazität des Akkus lediglich 65 kWh – was den Vorteil hat, dass der Akku weniger schwer ist. (Zum Vergleich: Beim serienreifen Modell Audi e-tron sind es 95 kWh.)

Wegen seines relativ niedrigen Gewichts und dank der Energierückgewinnung aus den Bremsvorgängen soll das 125-kW-Auto nur vergleichsweise wenig Strom benötigen. Konkrete Angaben zur Reichweite allerdings möchte der Hersteller noch nicht machen.

Automatisiertes Fahren

Der Audi AI:ME bietet automatisiertes Fahren des Levels 4 – kann also auf bestimmten Strecken (beispielsweise auf der Autobahn, im Parkhaus oder in speziell ausgestatteten Gebieten in der Innenstadt) vollkommen selbstständig steuern.

Auf solchen Strecken darf der Fahrer sich unbesorgt und ungestraft anderen Aktivitäten widmen – beispielsweise dem Schlafen, dem Arbeiten oder dem Unterhalten mit den Beifahrern.

Der Fahrer übernimmt das Steuer erst dann wieder, wenn das Auto das Gebiet verlässt, das für vollautomatisiertes Fahren geeignet ist.

Informations- und Entertainment-Systeme

Die Navigations-, Kommunikations-, Informations- und Entertainment-Systeme des Audi AI:ME lassen sich nicht nur über einen dreidimensionalen OLED-Bildschirm unterhalb der Windschutzscheibe bedienen, sondern auch über Blicksteuerung, Spracheingabe und berührungsempfindliche Bereiche in den Türbrüstungen.

Die Passagiere können zudem Virtual-Reality-Brillen verwenden, um im Internet zu surfen, Filme anzuschauen oder Computer-Spiele zu genießen. Eine Besonderheit dabei: Das „Holoride“-System erkennt mit Hilfe von Sensoren die Bewegungen des Autos und bindet sie in den Ablauf geeigneter Spiele ein.

Die Audioanlage des Fahrzeugs ermöglicht sowohl „Musik in Konzertsaalqualität“ als auch „meditative Stille“. Denn sie ist dank ihrer Geräuschkompensationsfunktion imstande, Geräusche von außen mittels Gegenschall völlig zu unterdrücken.

Der Innenraum: Wohnzimmer und Arbeitsplatz

Der Innenraum des Audi AI:ME unterscheidet sich deutlich von dem herkömmlicher Kompaktwagen. Das liegt unter anderem daran, dass dieses Auto zeitweise selbstständig fahren kann – und der Fahrer in diesen Zeiträumen zum Fahrgast wird, der das Innere des Wagens als Wohn- oder Arbeitszimmer verwenden kann.

James Nissen, Interieur Architect Designer bei Audi, erläutert das Konzept: „Wir haben den AI:ME komplett aus der Nutzerperspektive heraus gedacht. Wir haben uns in die Person hineinversetzt, die mit dem AI:ME in der Stadt von A nach B fährt und sich dabei von der Hektik der Großstadt abkapseln will. Daher haben wir im Designprozess auch das Hauptaugenmerk auf das Interieur gelegt.“

Die Sitze beispielsweise sollen so bequem sein wie Sessel. Wollen sich die Fahrgäste miteinander unterhalten, so können sie die vorderen Sitze nach hinten drehen – und die Positionen der Tische in der Mitte nach ihren Bedürfnissen verändern. Ergänzt werden diese Tische durch etliche weitere Ablageflächen.

Glasscheiben nicht nur an den Seiten, sondern auch im Dachbereich lassen viel Licht in das Innere des Wagens gelangen. Ist das mal nicht gewünscht, dann gibt es die Möglichkeit, die Scheiben dank einer elektrochromatischen Beschichtung stufenlos zu tönen.

  1. Die Bedienungselemente des Konzeptfahrzeugs Audi AI:ME sind – wenn sie nicht benötigt werden – hinter einer Abdeckung aus Walnussholz versteckt.
  2. Auf der Cockpit-Abdeckung und zwischen den Vordersitzen befinden sich große Ablageflächen – die dank integrierter Magnete metallene Becher oder Teller festhalten können.
  3. Hochwertige Textilien, Holz und Acrylstein (für die Touchpads in den Türbrüstungen) sollen für eine ebenso „wohnliche wie luxuriöse Atmosphäre“ sorgen.

Grün nicht nur wegen des Elektromotors

Unerwartet: Audi integriert lebendige Pflanzen in den Innenraum des Konzept­autos. Sie sollen beim Fahrer und bei den Beifahrern ein „Gefühl von Naturnähe“ entstehen lassen – und auch ganz objektiv die Luftqualität verbessern. Ergänzend dazu sorgen Filter dafür, dass Gerüche von außen nicht in den Innenraum des Autos gelangen.

Das Äußere: dynamischer Keil

Auffällig am Äußeren des Audi AI:ME sind die Keilform und die herstellertypisch weit herausstehenden Radhäuser. Die Fahrzeug­länge von 4,30 Metern und die Breite von 1,90 Metern entsprechen den üblichen Maßen der Kompaktklasse. Die Höhe des AI:ME ist mit 1,52 Metern leicht überdurchschnittlich, was sich angenehm bemerkbar macht beim Einstieg und bei der Kopffreiheit.

Mit Hilfe von Leuchtdioden an der Vorderseite kann der AI:ME Symbole anzeigen, die beispielsweise Fußgängern signalisieren, dass sie die Straße überqueren können. Zusätzlich sind Projektoren vorhanden, mit denen das Fahrzeug Grafiken auf die Straße oder an Häuserwände werfen kann. Darüber hinaus sind diese Projektoren imstande, den Türbereich beim Ein- und Aussteigen zu beleuchten.

Die fünf Level des autonomen Fahrens

Level 1: Assistiertes Fahren

Bereits heute in vielen Fahrzeugen Realität. Der Fahrer hat das Auto ständig unter Kontrolle, erhält aber Unterstützung von Assistenzsystemen – beispielsweise von einem Geschwindigkeits- oder Abstandsregler, einer Notbremsautomatik oder einem Spurhalteassistenten.

Level 2: Teilautomatisiertes Fahren

Das Auto kann die Funktionen von mehreren Assistenzsystemen miteinander kombinieren – zum Beispiel um zu beschleunigen, zu bremsen und die Spur zu halten. Auch assistiertes Überholen und automatisches Einparken gehören zu diesem Level. Der Fahrer muss jedoch ständig den Verkehr beobachten, um eingreifen zu können. – Auch diesen Level er­reichen viele aktuelle Fahrzeuge bereits.

Level 3: Hochautomatisiertes Fahren

Voraussichtlich ab etwa 2021 Realität: Unter bestimmten Voraussetzungen (beispielsweise auf der Autobahn) darf der Fahrer dem Bordcomputer die komplette Steuerung überlassen und sich anderen Dingen widmen – muss aber bereit sein, die Kontrolle innerhalb weniger Sekunden wieder zu übernehmen.

Level 4: Vollautomatisiertes Fahren

Noch in der Entwicklung: Bei diesem Level kann das Auto in vielen Situationen die Steuerung vollkommen selbsttätig erledigen. Der Fahrer hat aber nach wie vor die Möglichkeit, einzugreifen und selbst zu steuern.

Level 5: Autonomes Fahren

Das Auto steuert sich während der gesamten Fahrt selbst – und ist auch imstande, komplexere Straßenverkehrssituationen ohne Hilfe zu bewältigen. Die Menschen im Fahrzeug sind reine Passagiere. Lenker, Pedale und Führerschein sind nicht mehr nötig. – Nach optimistischen Schätzungen könnte dies bereits ab 2025 Wirklichkeit werden.

Wie würden Sie die Zeit nutzen, die Sie ­hätten, wenn das Auto selbst fährt?:Autonome Autos des Levels 4 – wie der Audi AI:ME – können auf bestimmten Strecken vollkommen eigenständig fahren. Das bedeutet nicht nur weniger Stress für den Fahrer, sondern auch mehr freie Zeit, die er für andere Aktivitäten verwenden kann. Was würden die Deutschen mit dieser hinzugewonnenen Zeit anstellen? Eine Umfrage von Bitkom Research liefert die Antworten …

Maßgeschneiderte Mietautos

Der Audi AI:ME ist nicht hauptsächlich dafür gedacht, mehrere Jahre lang von ein und demselben Benutzer gefahren zu werden. Vielmehr soll es den Audi-Kunden möglich sein, dieses Fahrzeug bei Bedarf zu mieten.

Dennoch möchte der Hersteller es laut seinem Konzept seinen Kunden nicht etwa zumuten, ein Auto von der Stange verwenden zu müssen. Stattdessen können sie das Mietfahrzeug maßgeschneidert bestellen.

Festlegen dürfen die Kunden bei der Bestellung nicht nur Details wie die Farbe, die Ausstattung des Innenraums und diverse technische Optionen, sondern auch Einstellungen wie die bevorzugte Innenraumtemperatur, die gewünschte Sitzposition und die persönliche Musikbibliothek, die dann schon beim Einsteigen aktiviert sind. Erledigen lässt sich dies entweder über eine App oder aber über die Voreinstellungen, die im Benutzerkonto hinterlegt sind.

Nach den Vorstellungen von Audi soll diese App (die sowohl auf dem Smartphone als auch auf dem Bordcomputer des Autos läuft) zudem als Assistent dienen, über den beispielsweise das Kommunizieren in sozialen Medien möglich ist, das Recherchieren im Internet, das Bestellen von Mahlzeiten oder das Schießen von Selfies.

An ihrem Ziel angekommen, müssen sich die Benutzer nicht einmal selbst um das Parken oder um das Aufladen des Fahrzeugakkus kümmern. Denn der autonom fahrende Audi AI:ME macht sich selbsttätig auf seinen Weg zurück ins Depot.

Das ist keine reine Zukunftsmusik: Bereits seit 2015 bietet der Autohersteller unter der Bezeichnung „Audi on demand“ die Möglichkeit, an einigen Standorten aktuelle Audi-Modelle zu mieten – für Zeiträume von 1 Stunde bis zu 28 Tagen. Derzeit steht dieser Service in mehreren Großstädten in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, den USA, Japan, Singapur, Hongkong und China zur Verfügung. Durch die Spezialisierung der Fahrzeugflotte – unter anderem dank Autos wie dem Audi AI:ME – soll dieses Angebot in Zukunft noch attraktiver für anspruchsvolle Kunden werden.

Weitere Visionsfahrzeuge

Der Audi AI:ME ist bereits das dritte „Visionsfahrzeug“ dieses Herstellers, das für relativ eng definierte Einsatzbereiche entworfen wurde: 2017 hat er den Audi Aicon vorgestellt, ein vollständig autonomes Fahrzeug, das für Langstrecken optimiert ist. 2018 folgte der Sportwagen Audi PB18 e-tron mit drei Elektromotoren, der sich in ein konventionelles Straßenfahrzeug verwandeln lässt. Im September 2019 dann wird Audi auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt mit einem vierten Visionsfahrzeug sein zukunftsträchtiges Konzeptquartett vervollständigen.