Was war das gestern Abend doch wieder einmal für eine Apple-Keynote. Steve Jobs Nachfolger und Neo-Apple CEO Tim Cook und Marketing-Guru Phil Schiller warfen mit Eigenlob und Superlativen nur so um sich. Statements wie „the most beautiful product we’ve ever made“ oder “this is unlike anything we or anyone else in our industry has made before” überraschen wohl niemanden, der IT-Pressekonferenzen – und speziell jene von Apple – kennt. Doch was steckt wirklich im iPhone 5 und warum sind die Spezifikationen eines Apple-Smartphones eigentlich völlig egal?
Auf dem Papier klingen die Features des iPhone 5 eher durchwachsen. In bekannter Optik belassen, besitzt das Smartphone anstatt eines 3,5 nun einen 4 Zoll-Display (Zitat Phil Schiller: „Anyone can make a bigger phone”) mit unterdurchschnittlichen 1136 x 640 Pixeln (326 Pixel-per-Inch). Das reicht zwar nicht für die mittlerweile als Industriestandard geltende HD-Auflösung aber immerhin für das werbewirksame Apple-Buzzword „Retina Display“. Apple ist es darüber hinaus auch nicht zu blöd, eine fünfte Icon-Zeile und eine Kalender-App, die in der Lage ist, eine ganze Arbeitswoche (!) anzuzeigen, als großen Schritt nach vorne anzupreisen.
Was hingegen wirklich überzeugend ist, ist das von Sharp produzierte Display-Panel, welches dünner ist und vor allem genauer auf Toucheingaben reagiert, als Konkurrenzprodukte. Doch diesem technischen Aspekt schenkte Phil Schiller in seiner Präsentation nur wenig Zeit und so wurde schnell zu „Ultrafast Wireless“ umgeschwenkt, was einen neuen, schnelleren WLAN-Standard sowie das bereits im Vorfeld vermutete LTE beinhaltet (das übrigens nicht europaweit funktioniert, beispielsweise auch nicht in Österreich). Nette Neuerungen, die man bei der Konkurrenz in besserer Form seit Monaten vorfindet. Toll ist auf alle Fälle der verbaute Apple A6-Chip, der einen pfeilschnellen Samsung A15 Cortex Dual Core-Prozessor (der übrigens in noch keinem Android-Gerät zum Einsatz kommt) und eine leistungsfähige SGX543MP4 Quad Core-Grafikeinheit beinhaltet, die bereits dem neuen iPad genug Leistungsreserven für aufwändige Spiele bietet.
Für Branchen-Kenner wurde es hingegen bei Aspekten der Software interessanter. Beim Satz “But perhaps the most amazing new feature in the iPhone 5 is called panorama” war ich wahrscheinlich nicht der einzige, der es kaum fassen konnte, dass hier ein Feature, welches es seit gut einem Jahr in Android 4.x gibt, als eines der coolsten Software-Features verkauft wird.
Dass Apple auf gängige Industriestandards pfeift und lieber sein eigenes Süppchen kocht, überrascht seit FireWire, DisplayPort, QuickTime und iTunes nicht mehr. So erscheint es als logisch, dass anstatt des mittlerweile üblichen microUSB-Steckers beim neuen iPhone ein neuer, kleinerer und „Lightning“ genannter Dock-Connector her muss.
Was hingegen etwas mehr überraschte, war der Verzicht auf NFC – eine Technik, die in so gut wie jedem neuen Android-Smartphone verbaut und auch von neuen Nokia Lumia-Phones unterstützt wird. Was ist der Grund? Apple und seine Anhänger argumentieren, dass NFC noch nicht ausgereift und verbreitet genug sei, um wirklich nützlich zu sein. Etwas objektivere Branchenbeobachter wissen, dass es wohl eher eine strategische Entscheidung seitens Apple ist, eine vom Konkurrenten Google seit Jahren vorangetriebene Technologie zu blockieren und lieber eine dubiose Bezahl-App in iOS 6 zu integrieren. Apples Verzicht auf NFC dürfte damit die Prognosen jedenfalls zu einer sich selbsterfüllenden Prophezeiung machen und den massentauglichen Durchbruch der Technik um Jahre nach hinten verschieben. Aber gut, da wären wir wieder beim eingangs erwähnten Punkt mit den Pressekonferenzen.
Alles in allem also ein gutes und überzeugendes Smartphone, das mit den üblichen Apple-Eigenheiten in Sachen Konnektivität und Standards daherkommt. Ich bezweifle nicht, dass sich auch das iPhone 5 wie warme Semmel verkaufen wird, jedoch ist der Zug in Sachen Innovationsführerschaft für Apple schon seit längerem abgefahren. Es kann sein, dass Smartphones an sich bereits „nur“ mehr Alltagsgegenstände sind, deren biederstes Aushängeschild wiederum das alljährliche iPhone-Update darstellt. Es kann aber auch sein, dass die richtig innovativen Ideen ganz einfach nicht mehr aus dem kalifornischen Cupertino, sondern aus Südkorea oder (man lese und staune) aus Finnland (Nokia Lumia 920 anyone?) kommen. Natürlich hat Apple aber noch immer ein am IT-Sektor unerreichtes Image, auf dem sich der wertvollste Konzern der Welt wohl auch noch einige iPod, iPad und iPhone-Aufgüsse lang ausruhen kann. Jedoch ist es am Smartphone-Olymp längst nicht mehr so gemütlich wie noch vor einigen Jahren – und es dürfte noch viel ungemütlicher werden.