Googles Nexus-Geräte dienen als Anschauungsobjekte und Vorbilder für das restliche Android-Universum. Schafft es das Nexus 5X in den Smartphone-Olymp wie sein Vorgänger Nexus 5?
Viele Nexus-Fans haben eine lange Durststrecke hinter sich: Mit dem Nexus 6 hatte Google im Jahr 2014 ein absurd großes Phablet vorgestellt, das mit seinen sechs Zoll und den wuchtigen 184 Gramm nicht nach dem Geschmack der Masse war. Viele potenzielle Käufer waren auch von der fehlenden Hardware-Unterstützung für die mit Android Lollipop eingeführte Systemverschlüsselung enttäuscht, die das Gerät unnötig ausbremste. Außerdem schien Google in letzter Minute den geplanten Fingerprint-Sensor aus dem Programm genommen zu haben.
In diesem Jahr ist alles anders: Freunde des puren Google-Android können zwischen zwei nagelneuen Modellen wählen – dem 5,2 Zoll großen Nexus 5X und dem 5,7 Zoll großen Nexus 6P (siehe Testbericht auf Seite 44).
Das 5X wird, wie schon sein Vorgänger Nexus 5, von LG hergestellt und ist im Design eng an diesen angelehnt. Die Vorderseite ist rein schwarz und kommt ohne hässliche Logos aus, das restliche Gehäuse ist je nach gewählter Variante ebenso schwarz (bzw. „Anthrazit“), weiß („Quarz) oder mintfarben („Eisblau“). An die schlichte Eleganz des Vorgängers kommt es aber nicht heran. Die Form ist zu nahe am Quader, es fehlen die geschwungenen Linien und die Erhebung des Kameraobjektivs (der „Camera Bump“) auf der Rückseite ist ganz verschämt mit hochgezogenem Kunststoff kaschiert, während sie beim Nexus 5 noch selbstbewusst hervorragen durfte. Auch haptisch macht das 5X einen Rückschritt. Die sanfte Gummierung des letzten Modells ist glattem Kunststoff gewichen, der das Gerät in der Hand weitaus rutschiger macht. Und die größere Bildschirmdiagonale lässt das Nexus um 9 mm in der Länge wachsen.
Sieht man über diese Äußerlichkeiten hinweg, fallen gleich einige wichtige Neuerungen ins Auge. Da ist zum einen die angesprochene Kamera, die ein deutliches Upgrade erfahren hat. Statt 8 MP beträgt die Auflösung nun 12,3 MP, im Nahbereich kommt ein Laser-Autofokus zum Einsatz, der das Motiv tatsächlich einen Hauch schneller scharfstellt als beim Nexus 5. Auch die Auslöseverzögerung wurde stark verkürzt und die neue Google Kamera-App vereinfacht das Umschalten zwischen Foto und Video und stellt im Zusammenspiel mit dem Kameramodul jetzt auch 4K-Videos und Zeitlupenaufnahmen in 120 fps her.
Im Generationsvergleich der Testfotos macht sich aber Enttäuschung breit. Zwar fallen die Farben etwas natürlicher aus als noch beim Nexus 5, in puncto Bildrauschen und Detailtreue hat sich die Kamera aber nur wenig verbessert und bleibt deutlich unter der Messlatte, die das Samsung Galaxy S6 setzt. Das ist insbesondere deshalb überraschend, weil LG im 5X einen deutlich größeren Sensor verbaut (1/2,3 statt 1/3,2). Nur in Situationen mit sehr schlechtem Licht macht sich dieser Vorteil (durch hellere Bilder) bemerkbar. Quer durch alle Lagen liefert die Kamera zwar durchweg bessere Bilder, einen starken Grund zum Upgrade sehen wir für Nexus 5-Besitzer dadurch aber nicht.
Bei der zweiten großen, von außen sichtbaren Neuerung des Nexus 5X fällt dieses Urteil anders aus: Der Fingerabdrucksensor (den Google „Nexus Imprint“ getauft hat) ist schnell eingerichtet, arbeitet sehr zuverlässig und ist somit eine echte Alternative zu Sperrmuster, PIN und Co. Die Position auf der Rückseite erfordert zwar eine gewisse Eingewöhnung, mit etwas Übung findet der Zeigefinger die Stelle aber ohne Probleme. Seit Android Marshmallow haben Fingerabdrucksensoren eine herstellerübergreifende Schnittstelle, die ihre Nutzung in Apps von Drittherstellern erleichtern soll.
Dem Vernehmen nach arbeiten etwa die Macher von Passwort-Tresoren wie 1Password oder Lastpass bereits daran, die angelegten Datenbanken per Fingerabdruck entsperrbar zu machen. Das Gleiche ist zukünftig für die Autorisierung von Zahlungen (Android Pay – sobald in D-A-CH verfügbar) oder einfache Benutzer-Logins in verschiedenen Anwendungen denkbar. Ein weiteres Ausstattungs-Highlight der neuen Nexus-Geräte ist der neue Ladestecker USB Typ-C, bei dem die Steckrichtung egal ist.
Google bzw. LG gibt sich dabei besonders „avantgarde“: Auch der Ladeadapter wird mit Typ-C Buchse geliefert, das beiliegende Kabel hat Typ-C an beiden Enden. Wer also bestehende Ladeadapter (mit USB Typ-A-Buchse) weiterverwenden will, muss ein zusätzliches Kabel kaufen, das im Play Store mit 14,99 Euro zu Buche schlägt. Der Zubehörhandel ist zurzeit noch schlecht sortiert und wie bei jeder Neuerung dieser Größenordnung ist mit einer mehrjährigen Umstellungsphase zu rechnen, in der die Konsumenten unterwegs mit Adapterstücken hantieren müssen. Dafür werden sie mit deutlichem Komfortgewinn beim Stecken, höherer Qualitätsanmutung und besserer Haltbarkeit belohnt. Und wer weiß – vielleicht schwenkt beim nächsten iPhone sogar Apple auf den neuen Standard ein und macht ihn damit tatsächlich zum Universalstecker.
Das Nexus 5X lädt mit dem neuen Stecker äußerst flott: In 31 Minuten geht‘s von 0 auf 50%, nach einer Stunde sind 80% erreicht. Zur Enttäuschung vieler Fans kann das neue Nexus aber nicht mehr drahtlos geladen werden, Google begründet dies mit der lapidaren Aussage, dass USB Typ-C für den Nutzer schon bequem genug sei. Wichtiger ist aber ohnehin der Blick in die umgekehrte Richtung, nämlich die der Entladung: Der 2.700 mAh große Akku taugte im Test für 10h 55min Web-Surfen, 6 h 24 min 1080p-Video-Streaming oder 3 h 40 min 3D-Gaming.
Das sind anständige, wenn auch nicht überragende Werte. In der Bedienung ist das Gerät recht flott, seinem Vorgänger von 2013 erstaunlicherweise aber kaum überlegen, was App-Starts und Multitasking angeht. Das erklärt sich in der Wahl der Hardware: Wurde das letzte Nexus mit dem damaligen Spitzenprodukt Snapdragon 801 ausgestattet, bekommt das Nexus 5X mit dem Snapdragon 808 einen Systemchip der oberen Mittelklasse. Auch die Ausstattung mit RAM (2 GB) ist dieselbe geblieben.
Google und LG liefern mit dem Nexus 5X ein solides, aber etwas schmuckloses Produkt ab. Der neue Fingerabdrucksensor ermöglicht bequemes Entsperren und hat dank der Schnittstelle für App-Hersteller einiges an Zukunftspotenzial. Weitere Kaufargumente sind der neue, verdrehsichere Ladestecker USB Typ-C, die Schnelllade-Funktion und gute (wenn auch nicht überragende) Laufzeiten. Die Ära der Nexus-Kampfpreise scheint aber vorüber zu sein: 479 Euro sind angemessen, aber nicht sonderlich günstig für ein Gerät dieser Klasse.
Verlässlicher Fingerabdrucksensor
USB Typ-C, Schnellade-Funktion
Unverändertes Android, laufende Updates
Kamera immer noch nicht Spitzenklasse
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