LG zeigte das V30 auf der IFA, brauchte aber lange, um das Gerät in den Handel zu bringen. Stellt sich die Frage, ob das neue Flaggschiff auch jetzt noch mit der Leistungsspitze mithalten kann.
Als LG im März dieses Jahres das G6 vorstellte, war die Hoffnung groß: Nach dem Misserfolg rund um das G5, dessen modulare Bauweise überhaupt nicht angenommen wurde, sollte das G6 zu altem Glanz verhelfen. Ein richtiger Burner fehlte dem Hersteller im deutschsprachigen Raum nämlich. Das V20, das durchweg gute Kritiken einheimste, kam hier zuletzt nicht auf dem Markt – dabei konnte auch dessen Vorgänger, das V10, durchaus überzeugen.
Doch das G6 enttäuschte leider auch, die Verkaufszahlen blieben trotz positiver Presse hinter den Erwartungen zurück. Sie erkennen die Problematik: Das LG V10 gefiel mit zweitem Display, guter Hardware und hübschem Äußeren und hätte im Verbund mit dem ähnlich ausgestatteten Nachfolgemodell V20 in unseren Gefilden die Kohlen aus dem Feuer holen können. Doch dazu kam es eben nicht und so lastete der gesamte Druck auf dem G6 – und das hielt diesem offensichtlich nicht stand. Aber LG gab nicht auf und traf die einzig richtige Entscheidung: Die V-Serie feiert ein Revival auf dem deutschen Markt. LG wirft zum Ende des Jahres das V30 in den Ring und will damit einerseits den G6-Fail vergessen machen und andererseits wohl auch beweisen, dass weder Samsung und Huawei noch der neuen Garde um OnePlus oder Xiaomi das Feld kampflos überlassen wird.
Um es vorwegzunehmen: Die Konkurrenz muss zwar nicht in Ehrfurcht erstarren, hat mit dem V30 aber einen neuen Mitstreiter bekommen, der in der Lage ist, die etablierten Hersteller herauszufordern. Das LG V30 ist in allen Belangen mit den Mitbewerbern gleichauf, mitunter sogar besser, wie unsere Benchmark-Messergebnisse beweisen. Die eigentliche Herausforderung wird also darin liegen, das V30 als gleichwertige Alternative zur S-Serie von Samsung, zu den neuen Huawei Mate-Modellen oder auch dem OnePlus 5T zu positionieren. In den letzten Jahren hat LG sicherlich Kredit bei den Käufern verspielt, immerhin lag der Marktanteil der verschifften Smartphones im zweiten Quartal dieses Jahres nur noch unter fünf Prozent.
Die gute Nachricht: Das LG V30 hat ohne Frage das Rüstzeug, die erwünschte Trendwende einzuläuten. Das lässt schon das Datenblatt erkennen. LG spendiert dem neuen Aushängeschild (endlich einmal) die beste verfügbare Hardware. Das war beispielsweise beim LG G6 nicht der Fall, das kam bekanntlich mit einem Snapdragon 821 auf den Markt – obwohl der potentere 835er damals schon verbaut wurde. Allerdings dürfte sich Samsung die komplette Charge geschnappt haben. Beim V30 hat LG nun zuschlagen können, entsprechend leistungsstark ist der Unterbau. In Kombination mit 4 GB RAM reihen sich die Testergebnisse der diversen Benchmarks im zu erwartenden Bereich ein, ganz oben in der Rangliste bei den Topmodellen von Huawei (Mate 10 Pro) oder Google (Pixel 2), dem OnePlus 5T oder dem Samsung Galaxy Note 8. All diese Smartphones, nebst dem Nokia 8 oder auch noch der Galaxy S8-Reihe, läuten gewissermaßen eine neue Ära ein. Alle in den letzten Monaten präsentierten Smartphones aus der Spitzenklasse führen unsere Leistungs-Rangliste mit schon erheblichem Abstand an.
Wenn sich die Leistungsergebnisse auf wenige Prozentpunkte annähern, müssen die Unterschiede an anderer Stelle liegen. Das LG V30 hebt sich in einigen Details vom Mitbewerb ab – vor allem in optischer Hinsicht. Sehr auffällig ist der auf den ersten Blick fehlende Powerbutton auf der Seite. Langjährige LG-Fans wissen: Der ist an dieser Position schon länger Geschichte, er befindet sich auf der Rückseite, unterhalb der Kamera, und fungiert gleichzeitig als Fingerprintsensor. Auszusetzen haben wir daran nichts, der Sensor arbeitet schnell und zuverlässig, bietet vom Entsperren abgesehen aber keinerlei zusätzliche Funktionen. Die Positionierung ist auf jeden Fall gelungen, genau wie die der seitlich angebrachten Lautstärkewippe. Die befindet sich bei den meisten Smartphones auf der rechten Seite, beim LG V30 links – während rechts der SIM-Schlitten Platz findet. Der schluckt übrigens auch eine microSD-Karte.
Noch deutlich mehr als die doch ungewöhnlichen Tastenpositionen sticht aber das an den Ecken abgerundete Display ins Auge. Optische Parallelen zum Pixel 2 XL lassen sich nicht abstreiten, das verwundert aber auch nicht weiter, stammen doch beide Smartphones aus gleichem Hause. Das LG V30 ist aber eindeutig schicker, weist dünnere seitliche Rahmen auf und ist darüber hinaus noch ein wenig dünner. Was das in den Ecken abgerundete Display betrifft: In der Redaktion wurde heiß diskutiert, die Meinungen hätten geteilter nicht sein können. Klare Ecken wirken auf jeden Fall weniger verspielt, Geschmäcker sind aber bekanntlich verschieden – und wer es rund mag, hat mit dem V30 eine Alternative mehr.
Viel wichtiger ist aber ohnehin die Leistungsfähigkeit des Displays. „FullVision“-Screen nennt LG den Bildschirm, 6 Zoll misst er in der Diagonale, gefertigt im 18:9-Format. Die Auflösung liegt bei 2.880 x 1.440 Pixeln und damit hoch genug, um auch Plattformen wie Googles Daydream verwenden zu können. Die Helligkeitswerte sind gut, im Außeneinsatz lassen sich alle Inhalte ablesen – das Note 8 und einige andere Phones sind aber noch eine Stufe heller. Darüber hinaus präsentiert sich das POLED-Display sehr knackig und farbintensiv. Wer das nicht mag, kann in diesem Punkt ebenso Einstellungen vornehmen wie auch bei der Auflösung. HD+ ist zwar nicht mehr schön anzusehen, theoretisch aber möglich – und schont immerhin den Akku.
Was weniger gefällt, ist die Blickwinkelstabilität. Nicht, dass sich die Inhalte nicht mehr ablesen lassen würden, das ist immer der Fall. Ein leichter Blaustich ist ab einem bestimmten Winkel aber unverkennbar. Der war allerdings fast zu erwarten, immerhin verbaute LG das gleiche Display (aus eigener Produktion) wie auch Google im Pixel 2 XL – und das kämpft mit ähnlichen Problemen. Beim LG V30 ist die blaue Einfärbung aber um Welten dezenter als das beim Pixel 2 XL der Fall ist, passieren sollten solche Fehler natürlich nicht. Wir hatten das Glück, ein Pixel-Testgerät mit brauchbarem Display zu erhalten und beim LG V30 fällt der Blaustich nicht genug ins Gewicht, um für einen Punkteabzug zu reichen. Außerdem dürfte das Problem tatsächlich nur vereinzelt auftreten.
Minimale Kritik also beim Display, unsere Verneigung dafür vor dem Akku. Die Nennkapazität beträgt auf dem Papier zwar „nur“ 3.300 mAh und damit beispielsweise 220 mAh weniger als beim Pixel 2 XL oder gar 700 mAh weniger als beim Mate 10 Pro, unsere Messergebnisse bescheinigen dem Energiespender des LG V30 aber die Lunge eines Marathonläufers. In Zahlen: Rund 18 Stunden Videolaufzeit sollten bei entsprechenden Einstellungen (Bluetooth, GPS aus, mittlere Display-Helligkeit) erreichbar sein, ebenso wie stundenlange Gamingsessions. Bei unserem Browser-Skript, das automatisch über Stunden im Internet surft, erreicht das V30 durchschnittliche Werte, etwa zehn Stunden sind machbar. Diese Zahlen sind natürlich in Relation zum alltäglichen Gebrauch zu setzen, denn hier laufen andere Prozesse im Hintergrund und auch WLAN, Mobilfunk etc. benötigen Strom. Der durchschnittliche Nutzer sollte aber zwei Tage ohne Steckdose auskommen. Und selbst wenn das nicht funktioniert, lange dauert das Laden nicht: In 32 Minuten ist der Akku zur Hälfte geladen, in 1:48 Stunden dann gänzlich.
Im V30 ist eine Dual-Kamera eingebaut mit 16 MP (f/1.6) und 13 MP (f/1.9) für Weitwinkelaufnahmen. Das klingt nicht nur auf dem Papier überzeugend, das waren auch unsere Testfotos – bei guten Lichtverhältnissen. Wird es düster, lässt die Qualität der Aufnahmen spürbar nach. Das hat einen einfachen Grund: LG hat offenbar bei der Pixelgröße der Kamera gespart, 1,0 Mikrometer genügen nicht, um perfekte Fotos in dunkler Umgebung zu schießen. In allen anderen Belangen hinterlässt die Knipse einen sehr guten Eindruck, wenngleich es nicht ganz zur Spitze reicht. Das Feld führen weiterhin die Pixel-Phones, das Mate 10 Pro oder das Galaxy Note 8 an.
Cool ist jedenfalls eine neue Videofunktion des LG V30, genannt „Cine Video“. Wie von der Effektauswahl zahlreicher Smartphones bekannt, wählt der Nutzer zwischen verschiedenen Overlays, die die Aufnahme entsprechend verändern. Es handelt sich dabei aber nicht um simple Filter, sondern vielmehr um Farbanpassungen, die in Echtzeit berechnet werden. Wer beispielsweise einen Thriller oder ein Drama drehen will, kann also das jeweils passende, typische Setting einfach in den Kameraeinstellungen festlegen. Entsprechend komplex präsentiert sich die Kamera-Anwendung, Hobbyfotografen kommen damit auf jeden Fall auf ihre Kosten. Schade nur, dass der Fotomodus nicht ähnlich überzeugen kann.
Abschließend noch ein paar Worte zur Software. LG verwendet noch Android 7.1.2, das Update auf Oreo wird dieses Jahr eher nicht mehr ausgerollt. Überzogen ist das pure Android mit der hauseigenen UX-Oberfläche in der Version 6.0. Die hat ihre Eigenheiten, so wie jede Hersteller-UI, und wird entweder geliebt oder verteufelt. Wie auch immer man dazu stehen mag, die Oberfläche ist leicht verspielt. Lobenswert ist das Always On-Feature, das die wichtigsten Infos auf das deaktivierte Display bringt – und damit das zweite Display des Vorgängers ersetzt.
Das LG V30 gehört zweifellos zu den besten Smartphones, die derzeit erhältlich sind. Wäre es Anfang des Jahres statt dem G6 ins Rennen gegangen, hätten Samsung, Huawei und Co. sicher mehr Druck verspürt. Auch nach der IFA war noch genug Zeit, um vor OnePlus oder Huawei auf den Markt zu kommen – nur genutzt wurde diese nicht. Vor zwei Monaten hätten wir das V30 noch mehr gelobt. Auch so bleibt aber ein Smartphone, das in vielerlei Hinsicht mit der Spitze mithält und beweist, dass LG nach wie vor tolle Smartphones bauen kann. Ein herausragendes Alleinstellungsmerkmal sucht man allerdings vergebens. Wenn der Preis noch fällt, ist da V30 aber auf jeden Fall eine Alternative zu den High End-Phones anderer Hersteller.