Blick über den Tellerrand: Was ist ACTA und warum sollte es mich interessieren?

Manchmal lohnt es sich über den Tellerrand zu blicken. Vor allem bei einem Thema wie dem Anti Counterfeiting Trade Agreement, kurz ACTA, das seit einigen Wochen durch diverse Medien geistert.  Wir zeigen euch, was hinter dem weltweiten Kampf der Medienindustrie gegen Urheberrechtsverletzungen steckt und was es für Smartphone- und Tablet-User bedeuten kann.

Das Internet ist in Aufruhr. Seit Tagen gehen in Polen tausende Menschen auf die Straße, um lautstark gegen die Ratifizierung von ACTA in ihrem Land zu demonstrieren – und sie haben Erfolg. Doch was ist ACTA überhaupt, was soll es verändern und warum stößt das Abkommen auf so viel Kritik unter Datenschützern, Menschenrechtlern und der Netzgemeinde allgemein?

Mangelnde Transparenz

Das Aktionsbündniss stopp-acta.info wird unter anderen von den internationalen Piratenparteien geführt.

Egal wie man zum Thema Urheberrecht und dessen Strafverfolgung steht, die meisten Menschen wissen gerne bescheid darüber, was ihre Regierungen eigentlich verhandeln. ACTA wird seit 2008 verhandelt, allerdings hinter verschlossenen Türen. Zu den Teilnehmern gehören unter anderem die USA, die Europäische Union, Australien, Kanada, Japan und noch einige weitere Staaten – und in keinem der Länder oder Staatenbündnisse hatten demokratisch gewählte Volksvertreter oder Parlamente zugriff auf die Unterlagen, auch nicht nach mehrmaligen Anfragen. Das Abkommen wurde stattdessen unter Verschluss gehalten, weltweit hatten zu Hauptverhandlungszeiten in der Anfangsphase nur rund 40 Menschen Zugang zu den Texten, ein guter Teil davon Lobbyisten der Medienkonzerne – aus ihrer Feder stammen vermutlich auch viele der Forderungen. Aber was steht denn nun eigentlich in ACTA drin und wieso sollte einen das interessieren?

Richtungsweisend

ACTA ist kein Gesetzesvorhaben, sondern ein internationales Abkommen. Das bedeutet, dass ACTA keine konkreten Gesetze vorschlägt, sondern vielmehr die Rahmenbedingen für neue Rechtsprechungen in den Teilnehmerstaaten definiert. ACTA soll die Verfolgung und Bestrafung von Urheberrechtsverletzungen im Internet und anderswo “harmonisieren”, es sollen also einheitliche Standards geschaffen werden. So weit so gut.

Es ist sehr schwer Aussagen über die inhaltlichen Folgen des Abkommens zu treffen, da nach wie vor nur wenig Material für die Öffentlichkeit zugänglich ist. Ältere Versionen des Abkommens wurden “geleakt“, dort war unter anderem die Rede von “3-strikes” (das Abschalten des Internetzugangs nach x-Verstößen wie bei HADOPI in Frankreich), einer verpflichtenden Datenspeicherung von Internetprovidern sowie der Überwachug des Datenverkehrs mittels Deep Packet Inspection. Selbst an den Landesgrenzen sollte es dem Zoll erlaubt sein, Datenträger zu überprüfen und bei Verdacht einzubehalten – die Durchsuchung eines Notebooks, Smartphones oder Tablets nach darauf installierten Raubkopien würde an Flughäfen dadurch beispielsweise möglich werden. Allerdings muss man deutlich sagen, dass die meisten dieser Horrorforderungen erfolgreich aufgeweicht wurden, nicht zuletzt dank des jahrelangen Protests gegen ACTA durch renommierte Institutionen wie der EFF oder “la quadrature du net“.

Wo ist dann das Problem?

Wenn also die meisten kritischen Forderungen bereits aufgeweicht wurden, wo liegt dann das Problem? Nun, zum einen in der Art und Weise wie das Abkommen verhandelt und von der Öffentlichkeit fern gehalten wurde. Zum anderen gibt es auch jetzt noch genug problematische Dinge im Vertragstext – meist deswegen, weil diese sehr schwammig formuliert sind und daher sehr breit interpretiert werden können. Ein Beispiel: Der aktuelle ACTA-Text gibt vor, das es möglich sein soll, dass Rechteverwerter (und private Dienstleister für die Rechteinhaber) bei Internet Providern gewisse Daten über ihre Kunden abfragen dürfen. Diese Auskunftspflicht der Provider beschränkt sich allerdings auf die im jeweiligen Land erlaubten Daten. Das bedeutet, dass in einem Land mit guten und starken Datenschutzregeln ACTA nicht so schlimm wäre, allerdings dürfte dem ein oder anderem nun etwas aufgefallen sein: In der EU gibt es mit der Vorratsdatenspeicherung bereits ein Instrument zur Datensammlung. ACTA kann neben suggestiven Formulierungen also auch unerwartete Nebenwirkungen haben, etwa wenn Gesetze zur Terrorabwehr plötzlich im Interesse der Industrie umfunktioniert werden.

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"La Quadrature du Net" sieht ACTA als Massenvernichtungswaffe.

ACTA: Die Wunderwaffe für die Interessen von Konzernen

ACTA ist ein langes Abkommen, dessen Sinn es eigentlich war, gefälschte Produkte wie Medikamente und Saatgut zu unterbinden. Generica und freies Saatgut sind vielen Konzernen ein Dorn im Auge, ACTA wird auch dagegen vorgehen und fordert aus diesem Grunde Befugnisse für Zollbeamte, derartige Waren auch in “Transitländern” konfiszieren zu können. Auf der einen Seite sind gefälschte Medikamente lebensgefährlich, auf der anderen Seite sind aber handelsübliche Generica lebensrettend für die, die sich teure Markenware nicht leisten können. Ähnlich verhält es sich mit Saatgut, hier gibt es aber die Bestrebung den Markt mit wenigen standardisierten und teils genetisch manipulierten Produkten zu dominieren – solches Saatgut eignet sich meist nur für eine Aussaat, muss also immer wieder neu gekauft werden, wodurch einige wenige Konzerne wie Monsanto oder Pioneer profitieren.

Was bedeutet ACTA für die IT-Branche und das Internet?

Legt man dieses Konzept auf die IT-Branche und das Internet im Allgemeinen um, wird klar, dass ACTA längerfristig ein Hindernis für Innovationen und die Freiheit im Internet darstellen kann. Vergessen wir nicht, das unser allseits beliebtes Android zu weiten Teilen aus Open Source, Creative Commons-Lizenzen und einer aktiven Community besteht – die Jungs und Mädels bei xda-developers handeln beispielsweise recht häufig in einer rechtlichen Grauzone, wenn sie beispielsweise ROMs ent- oder weiterentwickeln. Das Internet ist nicht so erfolgreich geworden, weil ein paar Vorstandschefs einiger Konzerne das mal beschlossen haben, sondern weil es eine freie Entfaltung kreativer Energie und Motivation zur Zusammenarbeit gab und gibt.

ACTA ist deswegen so gefährlich, weil es neue “Mindeststandards” beim Schutz geistigen Eigentums einführen würde – für Provider wären Anreize geschaffen, ihre Kunden im großen Stil zu überwachen um sich selbst vor rechtlichen Konsequenzen abzusichern. Die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen würde noch mehr als bereits jetzt an private Unternehmen ausgelagert werden (Stichwort: Abmahnwellen) und der freie Austausch von Wissen und Informationen würde eingeschränkt. ACTA würde bedeuten, dass Meinungsfreiheit, Bürger- und Menschenrechte den Interessen von Privatunternehmen untergeordnet werden würde. Und ganz allgemein würde ACTA einen Präzedensfall schaffen, der die Verhandlungskultur weitere Abkommen negativ beinflussen würden.

Wer mehr über ACTA wissen möchte (und es gibt noch eine Menge Infos), dem sei die Seite des kanadischen Rechtswissenschaftlers Michael Geist zu empfehlen. Etwas prägnanter fassen es die Kollegen von Ars Technica zusammen, und für die ganz Eiligen haben die Netzaktivisten von Accesnow.org eine Broschüre zusammengestellt. Alle Informationen in deutscher Sprache an einer Stelle versammelt findet ihr auf netzpolitik.org!

Und weil Taten mehr bedeuten als Worte wird es am 11. Februar in ganz Europa zu Demonstrationen und Protesten kommen – ja, auch in deiner Stadt!

Abschließend noch ein kurzes Video zum Thema ACTA von Anonymous. Das Video ist jedoch mit Vorsicht zu genießen, da es teilweise auf veralteten Informationen basiert und ein wenig reißerisch ist: