Hype oder Zukunft, fragwürdige Spione oder Erleichterung für den Alltag, Fluch oder Segen: Die Standpunkte zu smarten Handys, Fernsehern, Autos oder Eigenheimen gehen auseinander. Dabei geistert das Konzept vom „Internet der Dinge“ schon seit Jahren in der IT-Branche umher und nimmt nun immer konkretere Formen an. Wir zeigen, was es schon gibt, was noch kommt und was das für unser aller Leben bedeutet.
Wer sich im Jahr 2014 ins Internet begibt, dessen Daten sind quasi Freiwild. Egal ob mit dem Smartphone, dem Notebook oder dem Smart TV: So gut wie jede App, jeder Online-Dienst oder –Shop basiert darauf, den Nutzer möglichst gut zu kennen. Die Motive dahinter sind unterschiedlich, in der Regel geht es aber darum, eine maßgeschneiderte Nutzererfahrung zu bieten. Sei es nun in Form von angepasster Werbung auf Facebook, auf die eigenen Interessen abgestimmte Suchergebnisse bei Google oder überraschend treffsichere Kaufempfehlungen bei Amazon.
Doch der unstillbare Datenhunger der Internetriesen und vieler anderer, kleinerer oder größerer Unternehmen entwächst langsam aber sicher seinen bislang bekannten Formen. Denn die zunehmende Miniaturisierung, die durch Smartphones enorm beschleunigt wurde, bringt entsprechende Technologien in alle Lebensbereiche: von smarten Zahnbürsten über intelligente Waagen, „denkenden“ Haushaltsgeräten, sich selbst steuernden Klimaanlagen bis hin zu Autos mit voll integriertem Android-Betriebssystem reicht die Palette an Dingen, die intelligent werden. Zugleich werden wir als Nutzer dadurch immer transparenter, je „smarter“ die Dinge um uns herum werden, desto detaillierter wird unser Profil im Netz.
Vor- und Nachteile des gläsernen Menschen
Wer sich wie eingangs erwähnt aktiv auf Facebook herumtreibt, in Online-Shops wie Amazon oder Zalando einkauft und die dominierende Suchmaschine Google nutzt, ist – ob er oder sie es will oder nicht – zu jenem gläsernen Menschen geworden, der vor wenigen Jahren noch als Utopie umhergeisterte. Denn nicht nur Geheimdienste wie der NSA werten Daten im großen Stil aus, auch so gut wie jeder größere Online-Dienst nutzt Algorithmen, um seine Nutzer bis ins kleinste Detail zu analysieren, einzuschätzen, Wünsche zu erahnen und Vorlieben zu bedienen. Wenn man so will, basiert unsere komplette Nutzererfahrung auf Google, Amazon oder Facebook auf diesem Prinzip.
Wer die unglaublich akkuraten Suchergebnisse von Google schätzt und sich noch dunkel an die Anfangszeiten von Suchmaschinen erinnert, der weiß, welche positiven Aspekte ein ausgefeiltes Nutzerprofil haben kann. Der Preis dieser Treffsicherheit ist, dass all die gesammelten Informationen dazu genutzt werden, um uns wiederum möglichst akkurate Werbung anzuzeigen. Wichtig ist im Falle von Google aber, dass Werbetreibende nie direkt Zugriff auf diese Daten bekommen, sondern dass Werbung in Form von Werbebanner automatisch an die jeweilige Zielgruppe weitergeleitet wird.
„Wearables“ und „Quantified Self“ als Beschleuniger
Doch Daten werden nicht nur im Hintergrund, mehr oder minder im Geheimen, gesammelt, sondern auch immer bereitwilliger von selbst zur Verfügung gestellt. Fitness-Apps wie Runtastic, Lifetracking-Armbänder wie das Jawbone Up oder Produkte wie eine smarte Zahnbürste zeigen, dass es eine Nachfrage gibt nach Gadgets und Diensten, mit denen das eigene Leben, das Verhalten beziehungsweise diverse sportliche Betätigungen gemessen, also quantifiziert werden und später ausgewertet werden können. Generell sind „Wear-
ables“, also tragbare, smarte Gadgets wie digitale Fitness-Armbänder oder Datenbrillen (wie Google Glass) einer der ganzen heißen Trends, auf den so gut wie alle Größen der Branche bereits aufgesprungen sind. Wir wagen deshalb die Prognose, dass wir künftig noch deutlich mehr unserer Privatsphäre preisgeben werden, als wir es mit unseren Smartphones, Tablets, Notebooks und so weiter aktuell schon tun.
Smartphones und Wearables sind nur der Anfang
Der smarte Kühlschrank, der automatisch erkennt, welche Produkte bald aufgebraucht sind und deshalb vorsorglich via Internet neue ordert, oder Autos, die selbstständig auf der Autobahn zum Überholmanöver ansetzen, Gefahren innerhalb von Millisekunden erkennen und später am Zielort zentimetergenau in der Parklücke Platz finden, sind längst keine Zukunftsmusik mehr. Unternehmen wie LG oder Samsung haben frühe Versionen von derartigen Kühlschränken bereits im Sortiment, Automobilhersteller wie Audi, BMW oder Ford arbeiten mit Hochdruck an Software, die autonomes Fahren ermöglicht.
Mitten drin ist bei all diesen Vorhaben Google: Im Januar 2014 wurde gemeinsam mit Audi, Kia oder Honda die „Open Automotive Alliance“ ins Leben gerufen. Dieser Zusammenschluss soll den Automobilmarkt in etwa so umkrempeln, wie es die 2007 gegründete „Open Handset Alliance“ mit dem Mobilfunkmarkt tat. Erste Fahrzeuge mit multimedialen Navigationssystemen auf Android-Basis werden für Ende 2014 erwartet, Audi hat quasi als Beweis für die hoch gesteckten Ziele kürzlich einen Prototypen eines eigenen Android-Tablets gezeigt, mit dem verschiedene Funktionen des Fahrzeugs gesteuert werden sollen.
Jubel in der Branche …
Auf der im Januar 2014 in Las Vegas über die Bühne gegangene Consumer Electronics Show herrschte Aufbruchsstimmung. Intel-Chef Brian Krzanich prognostizierte seinem Unternehmen eine rosige Zukunft, da der Chip-Hersteller gut für die Ära, die nach Smartphones und Tablets kommt, gerüstet sei. „Macht alles smart“, lautete sein in überschwänglicher Silicon Valley-Manier hinausposaunter Kampfspruch.
Gezeigt wurden unter anderem biometrische Kopfhörer, die nicht nur Musik abspielen, sondern auch die Herzfrequenz messen. Oder eine Kaffeetasse, die gleichzeitig als Babyphone genutzt werden kann. Angetrieben wurden all diese Prototypen von einem extrem energiesparenden Chip namens Edison, der mitsamt einer Art Micro-PC in komplett verbautem Zustand gerade einmal so groß ist wie eine SD-Karte. Die Message hinter all dem: Alltägliche Objekte lassen sich mit einem darin verbauten Intel-Chip in smarte Gadgets verwandeln – und zwar kostengünstig und platzsparend. Für Intel CEO Brian Krzanich ist klar, dass sein Unternehmen für die Zukunft der „Wearables“ und das „Internet der Dinge“ gerüstet ist. Diese Euphorie wird auch von Analysten geteilt. J.P. Gownder von Forrester Research geht davon aus, dass 2020 derartige Produkte zum absoluten Mainstream gehören und von jedem verwendet werden, den meisten aktuellen Produkten fehle es aber noch an funktionierenden Geschäftsmodellen.
… Skepsis bei den Nutzern
Die Aufbruchsstimmung zu neuen Technologie-Ufern, die aus dem Silicon Valley verströmt wird, findet aber nicht überall Anklang. Viele sehen im Hype rund um smarte Alltagsgegenstände oder intelligente Autos nur eine weitere Penetrierung eines ohnehin so gut wie nicht mehr vorhandenen Konstruktes von so etwas wie einer digitalen Privatsphäre. Öl ins Feuer goss vor wenigen Wochen Google, als bekannt wurde, dass der Internet-Gigant das innovative Startup Nest Labs für 3,2 Milliarden US-Dollar übernimmt. Stein des Anstoßes ist das Geschäftsfeld, in dem Nest tätig ist. Denn das von zwei Ex-Apple-Mitarbeitern gegründete Unternehmen fertigt einen intelligenten Rauchmelder und einen smarten Thermometer, der das Verhalten des Nutzers analysiert und sich so selbstständig konfiguriert. Für Kritiker ist dieser Schritt ein weiteres Puzzle-Teil im Bild der Datenkrake Google, deren Masterplan die endgültige Aushöhlung des privaten Raumes zu sein scheint. Der Grat zwischen überzogener Technologieskepsis und naiver Leichtgläubigkeit ist in dieser Hinsicht wohl so schmal wie selten zuvor. Denn eines steht fest: Trotz allem Komfort, wird unser digitales Leben zunehmend von einer Hand voll IT-Riesen aus den USA bestimmt, die sich der europäischen Gesetzgebung weitestgehend entziehen und in immer noch unbekanntem Ausmaß mit US-Sicherheitsbehörden kooperieren.
Fazit
Wie sich dieser Umstand noch weiterentwickelt, muss sich zeigen. Ob wir in Europa allerdings weit damit kommen, ständig den laxen Umgang mit dem Thema Datenschutz zu bemängeln und mit dem Finger auf Facebook, Google und Co. zu zeigen, darf bezweifelt werden. Spannender wären eigene Ideen und innovative Alternativen, die man den Riesen aus dem Silicon Valley entgegensetzen könnte und mit gutem Beispiel zeigen könnte, dass Online-Shops, Suchmaschinen und Social Networks auch unter Achtung der eigenen Privatsphäre funktionieren können. Am Übergang zum Zeitalter der „Wearables“ und der „Internet der Dinge“ wäre jedenfalls ein guter Zeitpunkt dafür. Ob es allerdings gelingt, ist fraglich.