Fachbeitrag „Die Zukunft der Rechenzentren“
Je schneller die digitale Transformation Raum greift, desto mehr braucht sie eine Richtung. Die enormen Ressourcen, die Rechenzentren als das Rückgrat dieses Fortschritts benötigen, machen klar: Die Zukunft des Computings wird von Effizienz und Ökologie bestimmt.
Was ist schlimmer als Corona? Wahrscheinlich Corona ohne Internet. Seit mehr als einem Jahr treffen sich Kollegen und Geschäftspartner in Videokonferenzen statt in Büros und an Messeständen, gucken Filmfans Netflix statt ins Kino zu gehen, shoppen Menschen online, entwickeln Forscher rund um den Erdball gemeinsam Impfstoffe ohne sich im Labor persönlich auszutauschen. So hat sich mittlerweile das Gefühl breitgemacht, das Virus habe unsere Welt in kürzester Zeit ein zweites Mal digitalisiert. Fakt ist jedoch: Die Pandemie hat den ohnehin schon gigantischen Rechenbedarf noch weiter in die Höhe geschraubt. Es ist damit endgültig an der Zeit, Rechenzentren in einem Atemzug mit Versorgern zu nennen, die grundlegende Güter wie Wasser, Strom oder Heizung bereitstellen. Was aber bedeutet dieser unleugbare Stellenwert der Datacenter als das Rückgrat der Digitalisierung für die Zukunft?
Zunächst bedeutet er, dass ihre Aussichten besser sind denn je. Vertiv, ein weltweiter Anbieter kritischer IT-Infrastrukturlösungen, geht davon aus, dass die pandemiebedingten Investitionen in Rechenzentren nach Corona weiter wachsen werden. Auch in Deutschland kümmern sich immer mehr Datacenter – gegenwärtig rund 50.000 – um einen Rechenbedarf, der sich in der vergangenen Dekade verzehnfacht hat. Einen Boom im Boom verzeichnet dabei das Edge Computing: Überall entstehen hierzulande neue digitale Knotenpunkte, bei denen die Datenverarbeitung möglichst nah an den Ort der Datenentstehung rückt. Vor allem die Industrie 4.0, das Internet der Dinge und das sich für die nahe Zukunft warmlaufende autonome Fahren produzieren gigantische Mengen an Daten, die auf solche dezentralen kleineren Einrichtungen zunehmend angewiesen sind. Auch neue Technologien wie 5G befördern diesen Trend, der nicht nur in Gegenden mit hoher Datenverarbeitungsdichte bedeutsam ist, sondern sich auch auf die Schwellenländer ausdehnen wird, wie Vertiv prognostiziert.
Schlüssel Nachhaltigkeit
Der Zuwachs an dezentralen Mikrorechenzentren bedeutet jedoch nicht, dass Hyperscale- und Cloud-Anbieter auf dem Rückmarsch seien. Im Gegenteil. Die komplexen, über ein virtuelles Hochgeschwindigkeitsnetzwerk miteinander verbunden Strukturen aus Zehntausenden oder gar Hundertausenden einzelner Server befinden sich ebenso im Aufwind. Die Gründe dafür sind neben dem galoppierenden Bedarf von praktisch allen Wissenschaften über die Unterhaltungsindustrie bis zu Kryptowährungen auch Vorteile wie niedrige Gesamtbetriebskosten oder ein extremes Maß an Skalierbarkeit. Experten schätzen, dass insbesondere Europa und Asien die Welt der neuen Hyperscale-Unternehmen – ob in Form von Cloud Computing oder als Co-Location-Anbieter – anführen werden, da dort aufgrund vergleichsweise vieler Vorschriften große Zentren rentabler seien.
Wie groß ein Rechenzentrum auch sein und für was es ausgelegt sein mag – über seine Güte entscheidet immer mehr die Nachhaltigkeit. Zu deren Faktoren zählen etwa der Einsatz regenerativer Energien oder die Etablierung von Stoffkreisläufen. Im Zentrum der Nachhaltigkeit steht jedoch die Frage der Energieeffizienz. Immerhin fließen heute 2,7 Prozent des europäischen Stroms allein in die Rechenzentren. Allerdings hat sich deren Verbrauch eindrucksvoll verbessert: Er liegt derzeit pro übertragenem Gigabyte Daten um zwölf Mal niedrigerer als im Jahr 2010. Und die Branche arbeitet weiter an ihrer Grünwerdung: Laut einer Studie des Borderstep Instituts soll der CO2-Ausstoß bis 2030 um 30 Prozent sinken. Und dies trotz steigender Anforderungen an die Rechenleistung, wie sie vor allem im Segment des High Performance-Computings (HPC) auf Basis besonders leistungsstarker Grafikprozessoren und mit Schwerpunkt auf Hyperscale-Workloads realisiert werden.
Stellschraube Kühlung
Dazu tragen schon heute Innovationen bei, wie sie zum Beispiel der international agierende HPC-Spezialist Northern Data aus Frankfurt am Main entwickelt hat. Anders als das Gros der Co-Location-Anbieter betreibt das Unternehmen die Hardware, die Virtualisierung der IT-Ressourcen und die Anwendungssoftware aus einer Hand. Dabei steuert, überwacht und wartet eine eigens entwickelte Künstliche Intelligenz die komplette Hardware des auf mehrere internationale Standorte verteilten Clusters automatisch. So arbeitet jeder einzelne der zehntausendfach interagierenden Server jederzeit mit optimaler Auslastung, geringsten Ausfallzeiten und deswegen hocheffizient.
Die entscheidende Stellschraube bei allen Fragen effizienter Rechenzentren ist die Kühlung – von der elektrischen Leistung der dicht gepackten Prozessoren verwandeln sich rund 95 Prozent in Wärmeenergie. Ein probates und zukunftsträchtiges Verfahren ist die passive Kühlung, wie sie etwa Northern Data mit stationären sowie mobilen Cluster-Strukturen in modularer Bauweise nach dem Baukastenprinzip in nördlichen Ländern verwirklicht. Aufgrund der niedrigen Außentemperaturen kommen die Anlagen dort ohne signifikanten zusätzlichen Energiebedarf aus. So nutzt Northern Data einen eiskalten norwegischen Fjord zur Wasserkühlung oder profitiert an seinem Standort in Nordschweden von einer Jahresdurchschnittstemperatur von 1,3 Grad. Das führt dazu, dass weit über 90 Prozent der eingesetzten Energie in die tatsächliche Rechenleistung fließen. Und: Die skandinavischen Zentren der Frankfurter laufen ohne Abstriche mit erneuerbarer Energie, vor allem Wasserkraft.
Öko-Chance Abwärmenutzung
Doch auch Rechenzentren ohne direkten Zugang zu grünem Strom werden künftig ökologischer arbeiten. Moderne Formen der Abwärmenutzung tragen immer mehr dazu bei. Vor allem in Schweden, wo etwa Stockholm bis 2035 zehn Prozent aller Haushalte mit der Abwärme von Rechenzentren heizen will. In Frankfurt, Deutschlands Champion unter den Datacenter-Standorten, würde die Hitze der Zentren ausreichen, um die komplette Stadt zu beheizen. 1600 Gigawattstunden produzierten sie allein im vergangenen Jahr. Noch sind die Probleme für die Nutzung zahlreich. Die Versorgungssicherheit etwa, da Rechenzentren nicht für mehrere Jahrzehnte ausgelegt sind, die technischen Inkompatibilitäten mit dem bestehenden Fernwärmenetz oder die hohen Kosten für die Planung und Umrüstung. Dennoch zeigen mehrere Projekte, dass kreative Lösungen möglich sind. Zum Beispiel das Frankfurter Hochhaus Eurotheum, das Büros und Hotellerie schon seit 2017 mit der Abwärme eines Clusters heizt, oder jene 1300 Wohnungen, die derzeit im Gallusviertel entstehen und Wärme von einem benachbarten Rechenzentrum beziehen werden.
Eine andere, ebenfalls heute schon relevante Zukunftsvision ist das Errichten von Gewächshäusern neben Datacentern, um sie mit deren überschüssigen Wärme zu betreiben. Unter Umständen impliziert diese Variante sogar eine besonders sinnfällige Symbiose: Modernes „Vertical Farming“ ist nicht nur auf die richtige Temperatur, sondern auch auf Rechenkraft für die Auswertung von immer mehr Daten angewiesen. Solche und andere Innovationen – seien es eine intelligente Verkehrssteuerung, digitale Heiztechnik oder smarte Stromnetze – zeigen, dass die Beherrschung des Klimawandels letztlich nur mit der digitalen Transformation möglich ist und nicht gegen sie.