Der wahre Traum vom ewigen Leben – Teil 1/3

Eos, die Göttin der Morgenröte war mit unstillbarer Begierde nach jungen sterblichen Männern erfüllt. Also erbat sie von Göttervater Zeus das ewige Leben für ihren Geliebten Tithonos. Allerdings vergaß sie, Zeus auch um die ewige Jugend zu bitten. So wurde er immer älter und schrumpelte – unfähig zu sterben. Schließlich blieb von ihm nur noch seine schrille Stimme übrig. Da hatte Zeus Mitleid mit ihm und verwandelte ihn in eine Zikade, die Eos immer begleitete.

Eigentlich sollte diese einleitende Geschichte eine Warnung sein, dass uns ewiges Leben nicht glücklich macht, doch andererseits wecken unsere Erfahrungen mit dem Tod, die wir dank der neuen Medien nun bereits täglich konsumieren dürfen, unseren Wunsch nach ewigem Leben. Weil wir aber wissen, dass dies (noch) Utopie ist, entwickelten wir im Lauf der Zeit Theorien, die dem Tod seinen Schrecken nahmen. Viele Religionen lassen uns glauben, dass wir wiedergeboren werden, andere wissen, dass wir im Himmel ohnehin ewig leben werden. Und dennoch ist der Verlust von Mitmenschen eine derart negative Erfahrung, dass wir uns ständig Gedanken machen, wie wir unser Leben verlängern können, wie wir es schaffen könnten, ewig zu leben.

Die Bionik wird immer mehr ein Teil unseres Lebens. Macht sie uns unsterblich? (Foto: Shutterstock/[videodoctor])

Verlängerung der Lebensverlängerung

Und der Zeitpunkt für derlei Gedanken ist geradezu ideal. Die Lebenserwartung der Menschen in den Industrienationen steigt exponentiell an. In den letzten 50 Jahren ist sie durchschnittlich um zehn Jahre gestiegen. In den OECD-Mitgliedstaaten liegt sie aktuell bei 80,5 Jahren. Und sie steigt Jahr für Jahr um rund drei Monate,  in einigen Jahren werden es gar vier oder mehr sein. Wenn wir also nach heutigen Maßstäben noch 40 Jahre zu leben hätten, dann würden wir nicht in 40 Jahren sterben, sondern erst in 50, weil sich die Lebenserwartung in der Zwischenzeit um mindestens zehn Jahre verlängert hat. Tatsächlich wird dies deutlich mehr sein.

Aber wie viel mehr? Ist es denkbar, dass wir irgendwann für jedes Jahr, das wir leben, ein weiteres Jahr dazubekommen, nur weil die Lebenserwartung so steil ansteigt? Dann hätten wir tatsächlich große Chancen, ewig zu leben.

Doch ist das überhaupt wünschenswert? Und wie müssen wir uns so ein ewiges Leben vorstellen? Die erste Frage ist philosophischer Natur und berührt uns hier weniger, auch wenn wir diese Thematik später kurz streifen wollen. Eine Antwort auf die zweite Frage geben uns zahlreiche Alters- und Zukunftsforscher.

In 13 Jahren leben wir ewig

So etwa auch der Erfinder und Zukunftsguru Raymond Kurzweil, der unter anderem Leiter der technischen Entwicklung bei Google ist. Er behauptet, dass in rund 30 Jahren die Singularität stattfinden wird. Genauer gesagt im Jahr 2045. Dann soll laut Kurzweil die künstliche Intelligenz die biologisch menschliche in einem Ausmaß überholt haben, das uns ein weiteres Schauen in die Zukunft unmöglich macht. Es ist dies der Zeitpunkt, ab dem wir ewig leben können.  Genaugenommen denkt er, wird dies schon ab dem Jahr 2029 möglich sein. Weil eben ab diesem Zeitpunkt die durchschnittliche Lebenserwartung pro Jahr um ein Jahr verlängert wird.

Der Zukunftsforscher Raymond Kurzweil ist überzeugt: In 13 Jahren werden wir unsterblich sein, oder fast… (Foto: Wikipedia/Michael Lutch, Courtesy of Kurzweil Technologies)

Nanobots statt Ärzte

Worauf begründet Kurzweil diese Mutmaßungen: So genau wollen wir das wahrscheinlich gar nicht wissen. Jedenfalls, wenn es soweit ist, sind wir eher Roboter denn Mensch, Cyborgs eben. Zumindest wird unser Immunsystem von Maschinen kontrolliert. Diese winzigen Nanobots werden aber auch Hand anlegen an uns, falls dies nötig sein sollte. Nicht um uns zu züchtigen, vielmehr um an uns notwendige Operationen durchzuführen und defekte Zellen auszutauschen bzw. zu reparieren. Und natürlich Krankheitserreger wirkungsvoll zu bekämpfen, lange bevor wir die Symptome einer Krankheit überhaupt zu spüren bekommen.

Gehirnwolken

Kurzweil ist sogar der Meinung, dass wir unser Gehirn dann in die Cloud auslagern werden können. Das bedeutet, dass wir unser Bewusstsein und unsere geistigen  Inhalte auf Rechnern in der Cloud speichern und jederzeit wieder abrufen können. Vorbei die Zeiten, in denen wir die Vornamen all unserer Liebschaften durcheinandergebracht haben.

Aber nicht nur das Backup unseres eigenen Wissens ist möglich. Wir werden innerhalb von Sekundenbruchteilen auf jede nur erdenkliche Frage eine Antwort haben. Wir müssen nur die Speicher anderer Cyborgs anzapfen. Das würde unter anderem dazu führen, dass wir wesentlich schlagfertiger wären und natürlich intelligenter bzw. gebildeter.

Maschinen in Menschenform

Kurzweil selbst ist inzwischen 68 Jahre alt, doch er fühlt sich wesentlich jünger. Diverse Alterstests attestieren ihm ein Alter von nicht einmal 45 Jahren. Er nimmt allerdings auch weit über hundert Nahrungsergänzungsmittel – pro Tag. Und er möchte im Laufe seiner Lebensjahre noch „jünger“ werden. Was paradox klingt, ist durchaus denkbar. Wir müssen uns allerdings von dem Gedanken verabschieden, dass unser Körper dann noch so funktioniert wie bisher. Unsere Hardware (Körper) hat eine gewisse Lebensdauer. Da nützt es auch nichts, wenn die Software (Geist) noch funktionsfähig ist. Dieses Problem aber können wir lösen, indem wir unsere sterbliche Hardware durch Computerhardware ersetzen. Denn die geht nie kaputt. Diese Aussichten sind gleichermaßen faszinierend wie abschreckend. Wir werden zu Cyborgs, zu Maschinen in Menschenform. Und, so Kurzweil, der maschinengesteuerte Anteil unserer Intelligenz werde irgendwann eine Milliarde Mal höher sein, als die Intelligenz, die uns Gott mitgegeben hat.

Humorvolle Cyborgs

Werden wir dann auch in das Bewusstsein unserer Mitmenschen – oder sagen wir besser Mitmaschinen – eindringen können? Werden wir auf Knopfdruck deren Gedanken abrufen können? Ja, aber Kurzweil sieht nur die positive Seite von solchen gedanklichen Vernetzungen. Er ist überzeugt, dass sich dies positiv auf das gegenseitige Verständnis auswirken werde. Er glaubt auch, dass wir dann neue Formen der Kommunikation entwickeln werden und humorvoller, aber auch liebevoller sein könnten.

Im zweiten der drei Teile befassen wir uns mit den anderen Zukunftsforschern – die ebenfalls an der Unsterblichkeit arbeiten. Der zweite Teil erschien am 26. Mai.

Im dritten und letzten Teil geht es um die sozialen und moralischen Aspekte des ewigen Lebens. Dieser Teil erschien am 27. Mai.