Die großen Technologie-Unternehmen arbeiten immer häufiger an Produkten außerhalb des bisherigen Geschäftsmodells. Für diesen Zweck haben inzwischen alle mindestens ein Geheimlabor, in dem die Zukunft erforscht wird.
Google X ist so etwas wie der Prototyp eines modernen Technik-Geheimlabors. Okay, so ganz geheim ist das Ganze nicht, denn das Unternehmen geht ziemlich offen damit um, was dort hinter verschlossenen Türen erforscht wird und präsentiert immer wieder stolz Updates zu den Projekten. Diese Projekte weichen erstaunlicherweise stark von dem ab, wofür Google bisher bekannt war, nämlich Web-Services wie Gmail, Google Maps, YouTube und sogar Android – selbstfahrende Autos und Kontaktlinsen für Diabetiker passen da nur schwer ins Bild. Nichtsdestotrotz haben sich auch viele andere große Unternehmen von Apple über Microsoft bis zu Amazon, von diesem Forschungsgeist anstecken lassen und ähnliche Institutionen ins Leben gerufen, in denen die technische Zukunft abseits der bisherigen Produktpalette erforscht wird.
Am Anfang war Xerox PARC
1969 stecke die technologische Entwicklung, noch in einem sehr frühen Stadium. Besonders Computer waren damals so groß, dass sie ganze Räume ausfüllten und nur für sehr wenige überhaupt zugängig waren. In dieser Zeit entschied sich das Unternehmen Xerox, das vor allem für Fotokopierer bekannt war, im kalifornischen Palo Alto ein Forschungslabor zu eröffnen. PARC (Palo Alto Research Center Incorporated) war die erste Einrichtung ihrer Art, die nicht von Universitäten oder dem Militär geführt wurde. Das Unternehmen gewährte den PARC-Mitarbeitern freie Hand und unterstützte sie mit einem sehr üppigen Budget. Es war so etwas wie das Paradies für technikbegeisterte Wissenschaftler der 70er Jahre, die dort etwa Laserdrucker, Ethernet, den Personal Computer, die Computer-Maus, die grafische Benutzeroberfläche und viele weitere Erfindungen machten. In den späten 70er Jahren besuchte ein junger Steve Jobs das PARC-Labor und war von der GUI, mit Fenstern und Icons, die sich mit einer Maus bedienen ließ, so begeistert, dass er seine damaligen Apple-Mitarbeiter anspornte, etwas ähnliches zu entwickeln, allerdings deutlich günstiger als bei PARC, so dass es für einen Massenmarkt erschwinglich ist. Das Ergebnis war der Macintosh-Rechner, der einige Jahre später zum großen kommerziellen Erfolg wurde und der noch jungen Firma Apple zum Durchbruch verhalf.
So himmlisch PARC für die Mitarbeiter auch war und so bahnbrechend die Errungenschaften sind, so hatte das Forschungslabor doch mit einem großen Problem zu kämpfen, das ihm später zum Verhängnis wurde. Es gab keinen Druck, die Entwicklungen zu kommerzialisieren. So konnten die Mitarbeiter zwar ihren kühnsten Vorstellungen nachgehen und diese realisieren, doch diese fanden nur in Ausnahmefällen den Weg an die Öffentlichkeit.
X-mal besser machen
Als Sergej Brin 2010 Google X ins Leben rief, wollte man diesen Fehler von Xerox PARC nicht wiederholen. Von Anfang an war klar, dass alle Projekte, die in dem neuen Geheimlabor erforscht werden, auf ihre Wirtschaftlichkeit hin geprüft werden. Sollte ein Projekt in der Entwicklung mehr kosten, als es dem Unternehmen jemals einbringen kann, wird es eingestampft. Doch warum hat Google überhaupt ein Forschungslabor ins Leben gerufen, das den Geist von PARC wieder aufleben lässt? Google ist sicher nicht das erste Technologie-Unternehmen, mit einer Forschungsabteilung – Microsoft, Apple, Intel und viele andere haben schon lange entsprechende Einrichtungen, irgendwo müssen ja schließlich neue Produktideen herkommen. Was an Google X allerdings neu war, war die Ausrichtung, außerhalb des bisherigen Produktportfolios zu forschen. Es geht Google dabei die Selbstgefälligkeit der Tech-Branche zu zerschlagen, die sich mit regelmäßigen kleinen Updates zufriedengibt. Google denkt größer. Man hat viel Geld, warum sollte man das also nicht dafür verwenden, große Ideen zu erforschen, die das Potenzial haben, die Welt zu verändern?
Umdenken für den Fortschritt
Nachdem das erste Google-X-Projekt, die Datenbrille Google Glass, das Licht der Öffentlichkeit erblickte und Google mit dem selbstfahrenden Auto, den Internet-abstrahlenden Wetterballons von Project Loon oder der Blutzucker-messenden Kontaktlinse für Diabetiker immer größere und mutigere Projekte öffentlich vorstellte, und mit ATAP sogar noch ein zweites Forschungslabor eröffnet hatte, begannen andere Unternehmen nachzuziehen. Nicht unbedingt in ganz so großem Stil wie Google, aber die Idee, abseits des eigenen Geschäftsmodells zu forschen, haben die meisten übernommen. Facebook forscht z.B. verstärkt, wie auch Google, an Drohnen und Satelliten, die die ganze Welt mit einem Internetzugang zum durchaus umstrittenen Internet.org-Projekt versorgt. Amazon hat dagegen begonnen im bereits 2004 für die Kindl-Reader gegründeten Lab126 in den letzten fünf Jahren auch Tablets, Smartphones, TV-Set-top-Boxen und TV-Sticks zu entwickeln, sowie Geräte wie das merkwürdige Echo, das quasi Siri für das Wohnzimmer ist, oder Dash, ein Gerät das Produkte scannen und direkt für den Nutzer bestellen kann. Amazon hat sich also vom reinen Händler zum Hardware-Hersteller gewandelt.
Intel ist ebenfalls ein bisschen vom eigentlichen Geschäftsmodell, Prozessoren aller Art zu fertigen, abgerückt. 2012 hat das Unternehmen 10 Milliarden US-Dollar in die Forschung gesteckt und die Hälfte davon floss in höchstexperimentelle Technologien, während die andere Hälfte in die Neu- und Weiterentwicklung geschäftsträchtiger Produkte, die dem Unternehmen unmittelbar wieder Geld in die Kassen spülen. Worum es sich bei den experimentellen Technologien genau handelt, verrät Intel zwar nicht, aber es ist bereits bekannt, dass das Unternehmen ein großes Augenmerk auf Wearable Devices aller Art gelegt hat. Dabei handelt es sich um Google-Glass-ähnliche Datenbrillen, aber auch biometrische Sensoren, die in unsere Kleidung der Zukunft eingenäht sein werden.
Apple und Microsoft
Noch stärker als Intel halten sich Apple und Microsoft bedeckt, was geheime Forschungslabors angeht. Microsoft hat im vergangenen Jahr angekündigt, dass man innerhalb des Forschungsarms Microsoft Research eine Special Projects Group aufbaut, die sich stark an Google X orientiert und ebenfalls disruptive Technologien erforscht, die dem Unternehmen und der Gesellschaft zugutekommen können. Was man dort allerdings genau erforscht, ist bisher nicht nach außen gedrungen. Es könnte sich also auch, wie bei Google, um selbstfahrende Autos oder Internet-funkende Wetterballons handeln.
Allerdings hat Microsoft CEO Satya Nadella sich bereits sehr kritisch gegenüber den Moonshots von Google X geäußert. Diese können den Hype, den Google um sie erzeugt, bisher nicht standhalten, denn alles was nach mehreren Jahren existiert, sind ein paar Prototypen und eine Datenbrille, deren öffentlicher Test inzwischen beendet wurde und überwiegend als gescheitert angesehen wird. Bei Microsoft scheint man daher also deutlich mehr die Idee der Verschwiegenheit zu schätzen und wir können mit den ersten konkreten Informationen zu den Projekten wohl erst rechnen, wenn diese fast bereit für die Produktion sind.
Auch Apple unterhält mehrere Geheimlabors – bekannt ist eines geworden, in dem man die Apple Watch entwickelt hat.
Es geht Google darum die Selbstgefälligkeit der Tech-Branche zu zerschlagen
Dort wurden nicht nur die Fitnessfunktionen getestet und verfeinert, sondern auch große App-Entwickler eingeladen, die exklusiv ihre Apps für die damals noch streng geheime Uhr testen konnten. Ein weiteres Labor wurde zudem in Sunnyvale entdeckt, unweit des Hauptquartiers in Cupertino. In dem von Apple angemieteten Gebäudekomplex wurden mehrere Automobil-spezifische Umbauten vorgenommen, die sich mit den Gerüchten decken, dass Apple, ähnlich wie Google, an einem selbstfahrenden Auto arbeitet. Das Unternehmen ist allerdings generell extrem stark auf höchste Geheimhaltung aus, was sich mit dem Besuch von Steve Jobs bei Xerox PARC erklären lässt. Dort hat er damals bahnbrechende Ideen gesehen, die Inspiration für erfolgreiche Apple-Produkte waren. Er wusste also besser als jeder andere, wie leicht Ideen adaptiert werden können, wenn andere Personen sie zu früh sehen und wie wichtig es daher ist, sie abzuschirmen.
Die technologische Zukunft wird also weiterhin überwiegend hinter gut verschlossenen Türen erforscht.
Liga der großen Geheimniskrämer:
Die großen Technologieunternehmen haben alle eines gemeinsam: Die Forschung. Längst haben alle Firmen mindestens eines, wenn nicht sogar mehrere Forschungslabors.
Google: Google X hat den Fokus wieder auf eigene Ideen und Entwicklungen gelegt und einen neuen Erfindergeist in der Branche geweckt. Mit dem zweiten Forschungslabor ATAP verstärkt man diese Bemühungen nochmals.
Microsoft: Microsoft Research hat 2014 eine neue Special-Projects-Abteilung erhalten, die im Geheimen an neuen Produkten forscht, die das Unternehmen und die Gesellschaft voranbringen können.
Facebook: Die Bemühungen von Facebook liegen derzeit vor allem darin, Drohnen und Satelliten zu bauen, die die Welt aus der Luft mit dem Internet versorgen.
Intel: Ein großes Forschungsbudget für verrückte Ideen soll beim Chiphersteller die Zukunft u.a. im Bereich der Wearable-Devices sichern. Datenbrillen und Smart Clothes sind hier sicher nur die Spitze des Eisbergs.
Amazon: Der Handelsriese besitzt seit 2004 ein Forschungslabor, in dem zunächst die Kindl-Reader und inzwischen alle nur erdenklichen Geräte wie Smartphones, Tablets und TV-Sticks entwickelt wurden und werden.
Apple: Der König unter den Geheimnistuern. Bekannt sind ein Fitnesslabor für die Apple Watch und ein Forschungszentrum für selbstfahrende Autos. Zudem gibt es noch hochgradig abgeschirmte Labors für iPhones und iPads.
Gescheiterte Projekte
Wo so viele verrückte Ideen ausprobiert werden, finden sich auch immer ein paar, die sich einfach nicht wirtschaftlich umsetzen lassen und die Google daher stoppt.
Google Weltraumfahrstuhl
Um ins Weltall zu gelangen, könnte man doch einfach den Fahrstuhl nehmen zumindest lässt dies eine Zeichnung auf einer Tafel im Google X-Gebäude vermuten. Dass es sich dabei um einen Google-internen Witz handelt, um die besuchenden Journalisten an der Nase herumzuführen, heißt aber nicht, dass Google die Idee nicht zumindest einmal geprüft hat.
Hoverboard
Es wäre so cool, wie Marty McFly in “Zurück in die Zukunft” auf einem Hoverboard durch die Stadt zu schweben. Google ist es zwar gelungen, einen funktionierenden Prototyp in Miniaturgröße zu bauen, dieser ließ sich allerdings nicht auf eine für Menschen brauchbare Größe skalieren, ohne dass die Kosten explodierten. Zu schade!