Report: Neues Medium, neues Sprechen? Wie die Messenger-Kommunikation unsere Sprache beeinflusst – oder eben nicht.

Peter Mußler 3. September 2016 0 Kommentar(e)

Messenger sind gerade für junge Menschen das Kommunikationsmittel Nummer Eins. Hat dieses Verhalten Einfluss auf ihr Sprachvermögen bzw. ihre Sprechgewohnheiten? Die Antworten darauf sind erstaunlich.

t

WhatsApp und Konsorten haben das Repertoire unserer kommunikativen Werkzeuge ohne Zweifel bereichert. Doch haben diese neuen Medien nicht nur Einfluss auf die Art und Weise unserer Kommunikation, sondern auch auf unsere Sprache höchstselbst?

Die Verkürzung ist zentrales Prinzip einer schriftlichen Plauderei.

„Ganz bestimmt!“ Das skandieren die einen. „Viel weniger als man gemeinhin annimmt“, sagen die, die sich professionell mit Sprache beschäftigen. Zwar ist es unbestritten, dass man bemüht ist, sich beim Texten ohne ausgewachsene Tastatur kurz zu fassen. Eine Verkürzung des Sprachvermögens indes geht damit aber nicht zwingend einher. Vielmehr sei die Sprache des Netzes, so der einhellige Tenor der meisten Forscher, eine eigene, die parallel existiere neben der in der (mehr oder weniger) realen Welt. Keine Angst, es färbt also nichts ab.

2

Kurz, kürzer, aber kreativ

Während die einen meinen, in der interaktionsorientierten Messenger-Sprache gehe es gar nicht um das Transportieren von Inhalten, sondern um Kommunikation der Kommunikation wegen, vermuten die anderen, dass gerade die Idee des möglichst effizienten Übermittelns von Informationen Grund für eine Verkürzung sei. Also: Abkürzungen, Emojis und Wortkreationen, da lustig oder aber, weil schneller.

Fakt ist so oder so, dass WhatsApp & Co. nach der SMS einen Kommunikationswandel herbeigeführt haben. Es gibt praktisch keine Mengenbegrenzung mehr (zuvor wollte man aus Spargründen die maximale Zeichenzahl ausnutzen oder nicht massenweise an große Gruppen schreiben – die Kosten dafür waren horrend), dafür aber Emojis (sie haben die sogenannten Inflektive wie z.B. *gähn* abgelöst und verraten ganz schnell die ungefähre Gefühlslage und andere Lebensumstände). Außerdem kann man ganz ohne Text auch Bilder, Videos und Links versenden.

Der Messenger: endlich ein Reich für geschriebenen Dialekt

Da man im Prinzip unbegrenzt Nachrichten verschicken kann und dies über das Mobilinternet ohne Zeitverzögerung funktioniert, entspricht die Messenger-Kommunikation im Grunde dem normalen Dialog. Der findet bisweilen auch synchron statt, man kann sich z.B. ins Wort fallen. Ein Facebook-Chat steht dem in nichts nach. Durch diesen Umstand greifen extrem viele Nutzer auf die Sprache zurück, die sie auch tatsächlich sprechen: eine informelle und sogar intime – auf ihren Dialekt. Studien nicht nur in der Schweiz belegen das, überall findet zumindest eine Regionalsprache wenn nicht gar eine Mundart ihren Weg in den Austausch via Messenger. Die Autokorrektur mag einem dabei manchmal ein Bein stellen, sie lernt aber dazu oder lässt sich deaktivieren.

Ein neues Medium gibt immer auch Impulse für die gewohnte Sprache.

Die Zeiten von „LOL“ sind vorbei, dafür gibt es den :’) . Das ist zwar noch eine Verkürzung der Verkürzung, aber reden kann man so nicht. Akronyme, die sich nicht durch ein Emoji ersetzen lassen (z.B. „fyi“ stellvertretend für „for your interest“) oder Homophone („cu“, das klingt wie das englische „see you“), sind ebenso Abkürzungen, die es schon immer gegeben hat und immer geben wird, solange Buchstaben existieren, die effizient Informationen tragen sollen. Und die üblichen Verschleifungen („Flursn?“ = „Wie viel Uhr ist denn?“) sind auch nicht erst Folgen der digitalen Kommunikation.

Messenger wie WhatsApp oder Telegram tragen also nicht zu einer Verkümmerung des Sprachvermögens bei. Vielmehr fördern sie eine zweite (und für manche Generationen neu zu erlernende) Sprachvarietät, die den Eigenheiten des Mediums Rechnung trägt (wie es früher schon der Telegrammstil tat). Sie verhelfen außerdem dem Dialekt zum ersten Mal in der Geschichte seit es eine normierte Hochsprache gibt abseits von Speisekarten und Mundartgedichtbänden zu einer breiten Existenz in der Schrift. Soll diese Vielfalt und der kreative Umgang mit sprachlichen Zeichen schädlich sein? Wohl kaum.

auf Facebook teilen auf Google+ teilen auf Twitter teilen

Kennst du schon unsere Magazine?

Alle Magazine anzeigen