Technik: Huawei P10 im Test

Martin Reitbauer 5. April 2017 Comments Off on Technik: Huawei P10 im Test Kommentar(e)

Das Huawei P10 war eines der Highlights des diesjährigen Mobile World Congress. Es kommt zwar ohne radikale Neuerungen daher und ähnelt dem iPhone frappierend, dennoch verbessert sich das Gerät in vielen Kleinigkeiten und ist im Vergleich zur Konkurrenz immer noch sehr günstig zu haben. 

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Drittgrößter Handyhersteller darf sich Huawei schon seit längerem nennen. Laut den Marktforschungsunternehmen IDC und Strategy Analytics liegt der Marktanteil des Unternehmens mit Sitz in Südchina derzeit bei etwa 10% der weltweit verkauften Geräte. Der nächste Schritt auf dem Treppchen (Apple liegt mit dem Zweitplatzierten Samsung derzeit etwa gleichauf bei 18%) wird wohl ein hartes Stück Arbeit.

Rundherum, es ist nicht schwer

Am neuen Flaggschiff P10 ist schon äußerlich leicht zu erkennen, welchen Konkurrenten die Chinesen im Rennen um die Marktführerschaft ganz besonders im Auge haben: Apple. Hatte das Aluminiumgehäuse des Vorgängermodells P9 am Übergang zur Rückseite noch deutlich fühlbare Kanten, zeigt sich das P10 ganz rundgelutscht wie das iPhone seit Modellnummer 6. Sogar die Antennenstreifen – Kunststoffeinlagerungen im Metall, die für den ungestörten Empfang der verschiedenen Funkkomponenten ins Metall eingelassen sind – rücken beim P10 in iPhone 7-Manier an den Rand. Wäre da nicht die markante Plastikleiste mit Doppelkamera, Blitz und Leica-Schriftzug auf der oberen Rückseite, wäre das Gerät vom iPhone auf den ersten Blick kaum zu unterscheiden. Sogar die „kalifornischen“ Pentalobe-Schrauben an der Ladebuchse hat Huawei übernommen. Immerhin haben die Apple-Anleihen beim Design aber auch ihre Vorzüge: Das Gerät gleitet durch die kantenlose Form ohne Widerstand in die Hosen- oder Jackentasche, die Optik ist unaufdringlich und auf dem Aluminium bleiben keine hässlichen Fingerabdrücke zurück. Und in Puncto Farbgestaltung ist die Auswahl deutlich größer als beim kalifornischen Vorbild – die Liste reicht von Grün und Blau über (Rosé) Gold bis hin zu schlichtem Weiß oder Schwarz. Das Gewicht des guten Stücks ist mit 145 Gramm im Normalbereich und hält exakt die Äquidistanz zu den Konkurrenten iPhone 7 (138 Gramm) und Samsung Galaxy S7 (152 Gramm).

Hardware & Leistung

Die Hardware-Ausstattung wurde im Vergleich zum P9 nur geringfügig verbessert. Statt Kirin 955 wird nun der ebenfalls hauseigene Kirin 960-Systemchip verbaut, der auch schon im vor wenigen Monaten präsentierten Huawei-Phablet Mate 9 steckt. Die acht Kerne des System-On-Chips sind ähnlich getaktet wie jene des Vorjahresmodells: ein starkes Cluster für anspruchsvolle Aufgaben (4×2,4 GHz Cortex-A73) und ein schwächeres stromsparendes für die leichten Tasks (4×1,8 GHz Cortex-A53), auf dem zum Beispiel „Pokémon GO“ läuft, wie Huawei-Ingenieure anmerken.

In den Benchmarks reiht sich das P10 mit seinem neuen Chip erwartungsgemäß hoch oben ein: Geekbench bescheinigt ihm aktuell den höchsten Wert unter allen von uns bisher getesteten Smartphones (Multicore). Beim Single-Core-Wert, der nur die Leistung eines einzelnen Kerns bewertet und für viele Anwendungsfälle aussagekräftiger ist, muss sich das P10 nur dem iPhone 7 und seinem Vetter Mate 9 geschlagen geben. Die rohe Rechenpower macht sich auch im Alltag bemerkbar – schon im Einrichtungsprozess fallen die rasend schnellen App-Installationen auf. Im direkten Vergleich mit einem (keineswegs schwachbrüstigen) OnePlus 3 war eine zufällige Auswahl von Apps und Spielen etwa in der halben Zeit einsatzbereit.

Rohe Grafikpower

Stärker noch als die CPU wurde die Grafikeinheit aufgewertet: ARMs Mali -G71 MP8 soll 180% mehr Leistung bringen und dabei 40% weniger Energie verbrauchen. Tatsächlich liegt die Grafikleistung in unseren Benchmarks knapp vor der Adreno 530, die mit Qualcomms Snapdragon 821 in vielen aktuellen Geräten verbaut ist (Google Pixel, OnePlus 3T, HTC U Ultra). Wie sie gegen die Adreno 540 das Snapdragon 835 abschneidet (Galaxy S8), war zu Redaktionsschluss noch nicht zu ermitteln.

LTE und WLAN mit 2 x 2 MIMO

Durch ein neues Mobilfunk-Modem im Kirin 960 fällt das P10 in die LTE-Gerätekategorie Cat.12/13, könnte also bis zu vier LTE-Carrier (also Trägerfrequenzen) gleichzeitig zum Download nutzen. Über die dafür erforderlichen vier Antennen im Gehäuse verfügt allerdings nur der große Bruder des P10, das P10 Plus. Der potenzielle Datendurchsatz steigt damit auf bis zu 600 MBit/s (LTE Advanced pro bzw. 4.5G). Höhere Durchsätze schafft derzeit nur das (ab Juni verfügbare) Sony Xperia XZ Premium, das mit LTE Cat. 16 bis zu ein GBit erreicht. In der Praxis ist im deutschsprachigen Raum derzeit allerdings ohnehin bei 450 MBit/s Schluss – mit vier Carriern oder mehr wird hierzulande noch nicht gefunkt.

Schon jetzt profitieren kann der Nutzer allerdings von einem weiteren Mehrantennen-Setup, das sowohl im P10 als auch P10 Plus neu verbaut ist: Der WLAN-Chip hat nämlich in beiden Geräten zwei Antennen zur Verfügung (2 x 2 MIMO). Das kann die Datenübertragung im Heimnetz deutlich beschleunigen – vorausgesetzt, der Router oder Access Point funkt ebenfalls mit mindestens zwei Antennen.

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Laufleistung

Den vermeintlich stark gesunkenen Stromverbrauch der GPU konnten wir im Praxistest nicht nachvollziehen – ein simuliertes 3D-Spiel lief nur wenige Minuten länger als auf dem Vorgängermodell P9. Damit bleibt das neue Huawei-Flaggschiff in dieser Teildisziplin auf einem unterdurchschnittlichen Wert. Die Laufzeiten beim Web-Surfen und Video-Streamen gehen dafür deutlich nach oben. Knapp drei Stunden in ersterem Fall und über vier in zweiterem. Zum Teil ist dafür wohl auch der etwas größere Akku (3.200 statt 3.000 mAh) verantwortlich. Erfreuliche Fortschritte gibt es auch bei der Befüllung des Akkus: Das beiliegende Gerät beherrscht Huaweis Ladestandard „SuperCharge“, wodurch der Akku nun in 30 Minuten zur Hälfte und in 1,5 Stunden zur Gänze gefüllt ist. Beim Vorgänger P9 war der SuperCharger noch optionales Zubehör, mit dem unterdimensionierten Stock-Ladegerät dauerte das Laden auf 50% beinahe drei Mal so lange. Schade nur, dass sich „SuperCharge“ wie so viele proprietäre Ladetechnologien nicht an den USB-C-Spezifikation hält. Die Hoffnung auf herstellerübergreifend austauschbare Schnellladegeräte schwindet – wenn nicht Google über die Android-Plattform bald ein Machtwort spricht, wie sich das in Ansätzen abzeichnet.

Display: Mehr Licht!

Was die Eckdaten angeht, gibt es beim Bildschirm des Huawei-Spitzengeräts keine großen Neuerungen. Die Auflösung des IPS-LCD-Panels bleibt bei Full HD, die Bildschirmdiagonale schrumpft leicht von 5,2 auf 5,1 Zoll. Etwas verduzt waren wir zunächst von der Helligkeitsregelung: Die ersten drei Viertel des Regelbereichs bringen die Helligkeit von erstaunlich niedrigen 2 cd/m² auf indoor-taugliche 200. Dann geht es allerdings innerhalb von Millimeterbruchteilen auf 400 und in der Folge weiter bis knapp unter 600 cd/m2 – um einiges heller also, als die 430 cd/m2 des Vorgängers P9. Die niedrige minimale Helligkeitsstufe macht die Nutzung in der Nacht sehr angenehm – bei anderen Smartphones muss man sich mit speziellen Apps behelfen, um die Beleuchtung so weit runterdrehen zu können. Für noch mehr nächtlichen Komfort sorgt ein übers Schnellmenü zuschaltbarer Blaulichtfilter (“Augen schonen”).

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Ausstattung und Software

On-Board-Speicher und RAM sind nun mit 64 bzw. 4 GB etwas großzügiger bemessen (statt 32 und 4 GB Maximum beim P9). Die Möglichkeit zur Erweiterung per SD-Karte bleibt bestehen, der Platz dafür liegt wie bisher im SIM-Schlitten. Eine Dual-SIM-Variante wird laut Auskunft des Herstellers in Deutschland nicht auf den Markt kommen – in Österreich aber sehr wohl. Der Vorgänger P9 war mit Dual-SIM über offizielle Kanäle in D-A-CH gar nicht zu bekommen.
Neue Akzente setzt Huawei beim Fingerabdrucksensor, der nun auf der Vorderseite mit dem Daumen zu bedienen ist statt rückseitig mit dem Zeigefinger. Außerdem geht der Entsperrvorgang nun etwas schneller vonstatten. Die Erkennungsrate ist ausgezeichnet. Etwas irritierend ist zunächst die Tatsache, dass der Sensor nicht auch als Home-Button dient, wie man das bei Geräten von Samsung, OnePlus oder auch Apple gewohnt ist. Über die Einstellungen lässt sich diese Funktion zwar mittels Gestensteuerung nachrüsten, das Bedienkonzept (siehe Screenshot links) ist für langjährige Smartphone-Nutzer aber mehr als gewöhnungsbedürftig.

Die auf Android 7.0 aufgesetzte Oberfläche EMUI 5 (die vor kurzem auch ihren Weg auf das Vorgängermodell P9 gefunden hat), wartet mit verschlanktem Design und einigen praktischen Neuerungen auf. So kann der Nutzer seine installierten Apps nun in einem optionalen App-Drawer verstecken – bisher landeten die Icons ja in iOS-Manier einfach auf einem der Homescreens. Die Funktion „App Twin“ macht es außerdem möglich, zwei Facebook- oder WhatsApp-Accounts auf einem Gerät zu nutzen. Dazu wird die App „geklont“ und ein separater Nutzerdatenbereich eingerichtet. Vom „Original“ ist die solchermaßen duplizierte App durch ein kleines Symbol am Icon zu unterscheiden (siehe Screenshot rechts). Im Test klappten die getrennten Nutzerkonten tadellos –
manche Nutzer klagen aber darüber, dass sie öfter mal aus ihrem WhatsApp-Account ausgeloggt werden. Von Facebook und WhatsApp abgesehen, werden derzeit keine Apps unterstützt.

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Doppelkamera, die Zweite

Huawei setzt die Kooperation mit dem deutschen Kamerahersteller Leica fort und verbaut in den beiden P10 die „Leica Dual-Kamera 2.0“. Die Module werden im hessischen Wetzlar konzipiert, gefertigt wird in China. Die Sensoren kommen wie auch bisher schon von Sony. An den Specs der Dual-Knipse ändert sich einiges: Jener Sensor, der für Monochromaufnahmen zuständig ist, löst nun mit 20 statt 12 MP auf, der Farbsensor (RGB) bleibt bei 12 MP. Neu ist der optische Bildstabilisator im RGB-Modul, der im P9 noch fehlte. Nur im Falle des P10 Plus erhalten die Kameramodule eine größere Blende (f/1.8), die sie lichtstärker macht. Größere Änderungen gibt es an der Kamera-Software, die nun Gesichter besser erkennt und damit die Anwendung von Filtern und Effekten (wie die Herstellung von künstlicher Unschärfe von Hintergründen) einfacher macht. Bei den Fotoergebnissen mangelt es aber etwas an Schärfe und insbesondere bei schlechten Lichtverhältnissen gehen Details verloren oder verschwinden im Bildrauschen (siehe Kasten oben). Conclusio: Die Doppelkamera liefert durchaus anspruchsvolle Fotos – mit jenen von Samsung, Google oder Apple kann die Huawei-Leica-Knipse aber immer noch nicht ganz mithalten.

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Fazit

Viele Details machen das Huawei P10 zu einen besseren Smartphone als seinen Vorgänger P9: Das Design ist gefälliger (wenn auch gar zu stark an das iPhone angelehnt), der Bildschirm viel heller und die Hardware um einiges kräftiger. Wichtiger noch: Die Laufzeiten erhöhen sich um etliche Stunden. Die Kamera spielt zwar im Premium-Bereich, bleibt aber hinter den Spitzengeräten mehrerer Konkurrenten zurück. Dafür entschädigen wiederum die durchdachte, flinke Software und der gemäßigte Verkaufspreis von 599 Euro.

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